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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Verlogenheit troff geradezu durch die papierdünnen Wände. Er musste einen Schluck vom Laudanum nehmen, um nicht die Beherrschung zu verlieren.
    »Ganz Berlin wartet doch, dass die Fürstin ein Kind des Königs zur Welt bringen wird.«
    »Ja«, antwortete die Zofe schäfisch, »alle warten und beobachten alle möglichen Zeichen.«
    »Es scheint, als sei es ihr nicht vergönnt.«
    Die Schauspielerin war ein schlaues, sehr listiges Subjekt. Es machte ihm nichts aus, dies anzuerkennen.
    »Einmal habe ich sie an einem Batisthemdchen sticken sehen«, sagte das Mädchen. »Sie sah glücklich aus. Es dauerte mich unendlich, als sie sagte, es sei für eine Freundin in Dresden.«

    »Es muss schrecklich sein«, hörte er die Schauspielerin sagen, wobei sie mit einem Mal überraschend aufrichtig klang, »wenn alle nur auf das eine warten.«
    Ihm blieb das Herz stehen, als so urplötzlich die Tür aufschwang. Wie gut, dass er auf der richtigen Seite stand, sodass sie ihn verdeckte. Die Zofe ging, ohne sich umzublicken.
    Plötzlich war es still, leer und staubig wie sein ganzes Leben.
    Dann unversehens trat ein Mensch aus den Kulissen. Ein Laffe, auf den ersten Blick. Er grinste süffisant und wedelte ihm mit einem hellen Stück Stoff vor der Nase herum.
    »Kann es sein«, näselte er in breitestem Wienerisch, »dass wir uns für ein und dasselbe interessieren, mein Herr?«
    Der Mann wirkte kaum erschrocken, nur erstaunt, als er ihm das Stilett zwischen die Rippen rammte, zielsicher, genau wissend, wo sein Herz zu treffen war.
    Friedo indessen hatte einen schnellen Tod. Im Grunde starb er an den Folgen eines zu raschen Lebens, in dem er nicht gefunden hatte, was er suchte. Er würde dies niemals bedauern müssen. Insofern war das Schicksal ihm gnädig gewesen.

TAG DREI
    Die karbunkelhaften Beulen, die, von der Hand ausgehend, den rechten Arm seines so sehr geschätzten Kollegen befielen, bereiteten Professor Hähnlein größte Sorge, besonders da sie einen typhösen Zustand hervorgerufen hatten. Heuser, von tagelangem Fieber außerordentlich geschwächt, beschrieb
den nicht enden wollenden Schmerz der Schwellungen als klopfend.
    Man hatte ihm Blutegel gesetzt, außerdem Kataplasmen aus Semmeln, Milch und Safran aufgelegt, um sein Leiden zu lindern. Aus den dreieckigen Blutegelbissen waren an diesem Morgen übel riechende Eiterungen in ziemlicher Menge gedrungen.
    Die junge Heuser hatte sich abwenden müssen, damit ihr Vater die hervorstürzenden Tränen nicht sah. Hähnlein hatte sie losgeschickt, eine Räucherung vorzubereiten. Sie würden es mit Salpeter versuchen.
    Aderlässe und die vermehrte Gabe von versüßtem Quecksilber - das Professor Heuser bereits einnahm, noch bevor er sich ihm, Hähnlein, endlich, möglicherweise zu spät, anvertraut hatte - führten ganz und gar nicht zu der gewünschten Besserung. Inzwischen war man dazu übergegangen, ihm alle drei Stunden eine Verbindung von Calomel und Opium zu verabreichen, was ihn wenigstens zeitweise schlafen ließ.
    Die Entzündungen zeigten einen beunruhigend schnellen Verlauf, kostbare Zeit war ungenutzt verstrichen, bis der Kollege die Untersuchung seiner Verletzung, die er sich am Sektionsbesteck zugezogen hatte, gestattete.
    (Durch eigene Fahrlässigkeiten war Hähnlein bestens bekannt, dass Ärzte mit sich selbst oftmals unklug umgingen. Allerdings betraf es in seinem Fall nur die Zähne. Nichts verabscheute er mehr, als einen Dentisten aufsuchen zu müssen.)
    Hähnlein fühlte Heuser den Puls. Wie hart, klein und geschwind er sich zeigte, legte einen weiteren Aderlass nahe.

    Am Krankenlager des Gelehrten aus Marburg hatte sich über Tage und Nächte eine Reihe von Charité-Ärzten eingefunden, um sich ein Bild zu machen und im Anschluss daran die Anwendung verschiedenster Mittel zu diskutieren.
    Heuser selbst hatte sich zuweilen daran beteiligt.
    Es war das übliche Rätseln über die Ursachen von Ansteckungen, über giftige Ausdünstungen, Miasmen, die von Hospitalbetten aufstiegen - im wahrsten Sinne aller Worte -, über fäulnisschwangere Atmosphären.
    »Es ist der Schnitt an meinem Finger, meine Herren«, hatte Heuser leise eingeworfen. »Das Contagium fand während der Sektion in die offene Wunde.«
    Man bedauerte ihn. Man war voller Anteilnahme, doch man hörte ihm nicht zu.
    Hähnlein entnahm sein Aderlassmesser dem ledernen Etui und beugte sich über Heuser. Es verschlug ihm den Atem, als er den Ärmel des Nachthemds über den abgemagerten Arm seines

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