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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Kollegen schob. Die Haut über den Schwellungen begann sich schwarz zu verfärben.
    Heuser schlug die Augen auf.
    »Achten Sie mit Sorgfalt auf die Symptome.« Seine Stimme war wie schon seit Tagen sehr schwach. Er wollte sich räuspern, doch ihm fehlte die Kraft. »Und bevor Sie mich ein letztes Mal zur Ader lassen, lieber Freund, öffnen Sie doch bitte das Fenster. Vielleicht wird es mich ein wenig wacher machen.«

    »Beeilen Sie sich«, hatte Hähnlein gesagt. »Von nun an kann es sehr schnell gehen.«

    In den ätzenden Dämpfen der salzsauren Räucherung war das Atmen ihres Vaters in ein Röcheln übergegangen.
    Helene war losgerannt, um ihren Mantel zu holen. Auf dem Weg zum Hebammenzimmer hörte sie im Schlafsaal der Schwangeren die Studenten reden. Vielleicht nur, weil es sie von ihrer rasenden Angst ablenkte, begann sie den Worten der jungen Männer zu folgen, während sie, den Mittelgang zurückhetzend, ihren Mantel zuknöpfte und mit den Hutbändern kämpfte. Bis zum Ende des Schlafsaals hatte sie verstanden, dass die Studenten sich über eine Sektion begeisterten, der sie im Anatomischen Theater beigewohnt hatten. Ein Mordopfer sah man schließlich nicht alle Tage. Dass der Mann im Schauspielhaus aufgefunden worden war, ausgerechnet in den Kulissenbildern von Goethes Faust, fanden die Studenten höchst kurios. Und faszinierend dieser einzige, saubere, tödliche Stich! Zwischen dem vierten und fünften Rippenknorpel hatte er punktgenau das untere Ende der linken Herzkammer getroffen.
     
    »Madame ist mit Demoiselle Elsa bei den Proben im Theater«, sagte Eveline an der Haustür Madame Stopfkuchens. »Sie lässt sie nicht mehr aus den Augen, seit im Königlichen Theater dieser Mensch getötet wurde.«
    Sie reckte den Hals und sah beunruhigt hinaus auf das leere Trottoir.
    »Wenn Sie warten wollen«, sagte sie beinahe beschwörend, »bitte kommen Sie, da wäre nämlich noch jemand.«
    Ausgerechnet jetzt musste so etwas ganz und gar Grauenhaftes passieren, redete Eveline vor sich hin, während sie Helene die geschwungenen Treppen hinauf in die erste Etage voranging, ausgerechnet jetzt, wo sie endlich das Gretchen
spielen durfte (»Jötes Jreetchen« sprach sie es voller Ehrfurcht aus). Es hatte sie doch gerade allen Kummer vergessen lassen.
    »Kummer?«, fragte Helene.
    Eveline blies sich eine blonde Haarsträhne aus dem erhitzten Gesicht und verdrehte die Augen, bevor sie an die Tür zu Elsas Zimmer klopfte.
    »Sie macht es sich kompliziert«, flüsterte sie.

    Der Amethyst war ihm sofort ins Auge gefallen. Er schickte immer Schmuck zum Abschied. Wie oft hatte er ihn als sein Adjutant überbringen müssen. Der Anhänger war eine Auszeichnung. Er hatte also besonderes Vergnügen an ihr gehabt.
    Moritz starrte auf die polierte Fläche des Toilettentischs und fasste den Entschluss zu gehen. Es machte nicht den geringsten Sinn zu warten, es sei denn, er wollte sich von ihren Ausflüchten kränken lassen. Das Schlimmste war, dass er sich danach sehnte, sie zu sehen.
    »Baron von Vredow?«
    Er hatte das Klopfen überhört.
    »Sie müssen Helene sein«, sagte er, dabei wusste er es doch genau. Während sie näher kam und sich die Handschuhe auszog, murmelte das Dienstmädchen hinter ihr etwas von Kaffee und verschwand.
    »Sie sind ein Freund meiner Schwester?«, fragte Helene.
    »Vielleicht läuft es eines Tages darauf hinaus«, sagte er, denn er sah keinen Anlass zu lügen. »Derzeit liebe ich sie noch.«

    Sie nahm den Hut ab, während sie ihm forschend in die Augen blickte. Die ihren waren traurig, sehr ernst.
    »Wie geht es Elsa? Konnten Sie meine Schwester schon sprechen?«
    »Sie meinen, nach dem, was sich im Theater ereignet hat?«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Es muss ihr Angst machen, dass dieser Mensch so ganz in ihrer Nähe getötet wurde.«
    »Mir macht es auch Angst, um ehrlich zu sein. Ich habe davon aus der Zeitung erfahren.«
    Nicht von ihr selbst also, schien sie zu denken.
    »Ich habe heute in der Charité davon gehört. Wann eigentlich genau ist es denn passiert?«, fragte sie.
    »Wohl vorgestern gegen Mittag. Ein Bühnenarbeiter hat den Leichnam gefunden. Als die Schauspieler zu den Proben eintrafen, hatte man ihn schon abtransportiert.«
    Sie legte ihren Mantel über das Sesselchen vor dem Toilettentisch. Die Perlen nahm sie nicht zur Kenntnis.
    »Elsa hat also nichts davon mitbekommen.«
    Eveline kam mit Kaffee und weißen Wecken. Helene nahm ihr das Tablett ab.
    »Danke, ich kümmere mich

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