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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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war, eine gefragte Ware. Besonders Sidonies ins Kupferne spielendes hüftlanges Haar schien die Männer in den Bann zu ziehen, darüber hinaus fiel ihre Biegsamkeit ins Gewicht, die etwas Akrobatisches hatte, wie die wenigen Connaisseure im Bordell der Roon es nannten. Zu ihnen gehörte Saphir, der, wie Sidonie wusste, ohne jemals zu begreifen, was es bedeutete, über das Theater in Berlin für eine Zeitung schrieb. Nicht oft, aber doch hin und wieder tauchte er an der Königsmauer auf, um bedienen zu lassen, wonach der abgründige Teil seines Charakters verlangte. Hingegen fand Sidonie Saphirs Wünsche niemals wirklich verdorben - da kannte sie andere Kandidaten. Und im Übrigen hatte sie ihn gern, weil er stets das Gespräch mit ihr suchte. (Und nie hatte er nach einer Stiefeldirne verlangt, die für das rohe Geschäft zuständig war. Perdita hielt nur eine von ihnen im Haus, um nicht die falschen Gäste anzulocken.)
    In der Nacht bevor der chirurgus sie aufgegriffen hatte, war Saphir Gast im grünen Zimmer gewesen, jedoch ohne dass es zu dem gekommen wäre, was für gewöhnlich ausgiebig stattfand, wenn er sie aufsuchte. Herr Saphir hatte Bedenken geäußert. Er nannte es eine Hemmung vor der Verletzbarkeit des werdenden Lebens. Sidonie fuhr mit dem Finger über die beschlagene Fensterscheibe und malte ein Herz, weil ihr nichts anderes einfiel.
     
    Seit Stunden goss es in Strömen, als Friedo von Trapp im Salon dem Wunsch widerstand, seine langen Beine von sich zu strecken, doch er wollte sich vor Perdita und den Mädchen nicht gehen lassen. Wanda spielte auf dem verstimmten Klavier, und Ponny malträtierte die Mandoline. Sie machten
Musik wie am Schwanz zusammengeklammerte Katzen, doch das störte niemanden. Von den sieben Mädchen im Haus - die Schwangere und Celestine zählte er nicht mit - tanzten vier zu Paaren, die geschminkten Wangen aneinandergelegt, fast melancholisch.
    Kerzenlicht verbarg die Schäbigkeiten, und der Qualm aus Friedos Zigarre stank gegen den modrigen Geruch der feuchten Wände an. Die Mädchen kicherten, wenn sie dicht an ihm vorüberschoben; sie mochten ihn und hielten Abstand, um Perdita nicht in Wallung zu bringen, denn Perdita liebte ihn, das wussten nach dem knappen Monat, den er hier war, alle, die es anging, und auch jeder sonst. Perdita lächelte ihm zu. In ihren schwarz ummalten Augen strahlte der Triumph einer stolzen Besitzerin, und als er das Lächeln erwiderte, hob und senkte sich ihr Busen in aufgebrachter Erinnerung an den Nachmittag über dem geschnürten Mieder des dunkelroten Seidenkleides.
    Während Friedo den Rauch in Kringeln ausstieß, dachte er, wie gut er daran getan hatte, sich Celestines Entscheidung anzuvertrauen und nach Berlin statt nach Hamburg zu gehen. Hier war Perdita ihm in den Schoß gefallen, mitsamt ihren Ersparnissen, von denen sie ihm erzählt hatte, und Friedo wusste eine Frau im heiklen Alter glücklich zu machen, das war die leichteste seiner Übungen. Ihn unterschied von den hergelaufenen Galanen und sogar von den besseren Zylinderluden, dass er sich formvollendet benehmen konnte. Er hatte dies in seinen besten Zeiten als Hausdiener eines exzentrischen Herrn in Wien gelernt und sich in den schlechten Zeiten nicht wieder abgewöhnt.
    Von jenem Herrn, mit dem er inspirierende achteinhalb Jahre in einer hochherrschaftlichen Wohnung an der Donau
verbrachte, hatte er sich nach seinem Niedergang, der einer fatalen Spielsucht geschuldet war, das »von« im Namen gestohlen sowie einige passende Kleidungsstücke. Beides hatte Friedo, im Zusammenspiel mit seinen tadellosen Manieren, Zutritt zu den vornehmeren der Wiener Bordelle verschafft, bis er sich auch hier Zuneigungen und private Kredite verspielt hatte und langsam in die dunklen Winkel der Stadt abstieg. Es endete schließlich in der Porzellangasse, im Haus der Madame Peltzig. Sie hatte den Ruf, mit den jüngsten Dirnen Wiens ihr Geld zu machen. Davon besaß sie eine Menge. Geld, das Friedo haben wollte, um sich ein Leben zu leisten, von dem er keine Ahnung hatte, aber eine tiefe Sehnsucht danach.
    Doch was Friedo immer wieder vorwärtsgebracht hatte, das konnte ihn in entscheidenden Momenten seines Lebens gleichsam behindern: Er war ein sentimentaler Mensch. Und so hatte er dem Drängen Miezis nachgegeben, einem siebzehnjährigen Neuerwerb Madame Peltzigs. Er deflorierte sie freundlich und rücksichtsvoll, wie Miezi es von ihm erbeten hatte, damit es nicht ein x-beliebiger zahlender Kunde tat,

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