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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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sich ausgerechnet an dich gewandt hat?«
    »Sie weiß, dass ich die Schwester einer Hebamme bin.«
    »Für gewöhnlich besuchen Damen der Gesellschaft in prekären Lagen Verwandte auf dem Land, gebären ihr Kind und geben es in Kost.«
    »Das ist in diesem Fall ausgeschlossen. Jene Freundin der Fürstin darf sich nicht dem geringsten Verdacht aussetzen.«
    Ächzend senkte sich die hölzerne Brücke. Elsa kam noch näher, sodass ihre Knie zusammenstießen.
    »Diese Frau ist ohne eigene Schuld in diese Lage geraten, das solltest du wissen«, flüsterte sie. »Im Gegensatz zu mir ist sie kein leichtfertiges Wesen. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Schwangerschaft entdeckt würde.«

    Längst bevor die Kutsche rumpelnd über die schmale Brücke in den Tiergarten rollte, hatte Moritz sein Pferd gewendet und ihm die Sporen gegeben. Er fror unter seinen nassen Kleidern und war gleichzeitig erhitzt vom Galopp. Beides konnte seine Gedanken nicht aufhalten, die andauernd um Elsa kreisten. Es war ihm unmöglich zu verstehen, was in ihr vorging. Er hatte versucht, sich auf dem Gut mit Arbeit abzulenken, um abends vom Zimmer seiner Mutter aus auf den See zu starren und sich zu wünschen, dass Elsa sich an seiner Seite befände. Er war wegen neuem Saatgut mit dem Verwalter nach Danzig geritten und hatte dann in der Frauengasse ein silbern gefasstes Bernsteinkollier erstanden, das er sich wunderschön auf Elsa Haut vorstellen konnte.
    Cecilie hatte mit beredtem Schweigen die Briefe Malvines und Hersilie Stopfkuchens auf seinem Schreibtisch gestapelt, was er ihr zugutehielt, denn sie hätte sie auch vernichten können. Seine Schwester, das alte Mädchen, schien seinen inneren Kampf zu ahnen, ohne Genaueres wissen zu wollen, und in zärtlichen Momenten vermutete er, dass sie auf diese Weise ihre eingeschworene Zweisamkeit auf dem Gut retten wollte.
    Es hatte ihn zurück nach Berlin gezogen, und er verachtete sich dafür, Elsa an manchen Tagen, so wie heute, auf ihren Wegen gefolgt zu sein. So hatte er ihren Vater sehen können, nach dessen Bekanntschaft er sich sehnte, und auch ihre Schwester, ein zu Elsa so gegensätzliches Geschöpf mit kurz geschnittenen Haaren, das die Nächte in der Charité verbrachte. Zu beiden hatte er unbekannterweise Zuneigung gefasst und fühlte sich seitdem noch hilfloser als zuvor. Wie gern wäre er Teil dieser ungewöhnlichen Familie, und wie sehr fürchtete er sich davor, abgewiesen zu werden. Ich bin
wie Cecilie, dachte Moritz, während er die Chaussee Richtung Potsdam entlangpreschte, ich bin in sehr ähnlichen Befürchtungen gefangen wie sie.
    Er bemerkte, dass es nicht länger regnete und Sonnenstrahlen sich zwischen den Quellwolken am Horizont hervorzutasten suchten. Moritz zügelte sein Pferd und ließ es in gemächlichem Schritt unter den sich gelb verfärbenden Chausseebäumen gehen.
    Vielleicht wollte Elsa wirklich nur warten und meinte ihre Bühnenkarriere gegen die Ehe abwägen zu müssen. Auch er musste das. Denn niemals hatte er sich darüber Gedanken gemacht, ob er mit einer Schauspielerin verheiratet sein konnte, ob er mit einer Frau leben wollte, für die neben einer Ehe mit ihm noch etwas anderes von Bedeutung war.
    Er wollte Elsa zur Frau, das war alles, was er ebenso fühlte wie wusste. Doch offensichtlich war es zu viel, was er von ihr verlangte. Es waren komplizierte Fragen, die er ihretwegen zu überdenken hatte. Jedoch schienen die Verdächtigungen, mit denen er sich gequält hatte, unbegründet. Nicht Wilhelm Ludwig war sein Konkurrent, sondern das Theater.
    Vielleicht war Elsa einfach klüger als er, und er benötigte ebenso viel Zeit wie sie.

Sieben
    OKTOBER 1828
    Einem Arzt wie Blunck war Helene noch niemals begegnet, und das hatte nicht nur mit seinem Äußeren zu tun. Er wirkte düster und unversöhnlich, wozu er allerdings auch guten Grund hatte.
    Wie Hähnlein kam er von der Militärakademie, die man zur Zeit ihrer gemeinsamen Ausbildung Pepinière nannte, ein unter Wilhelm II. gegründetes Institut, in dem Chirurgen für die preußische Armee herangezogen wurden. Die Ausbildung hatte den vollen Umfang eines Universitätsstudiums, und an der Pepinière fand der Kampf um die Vereinigung von Medizin und Chirurgie ebenso statt wie an den Universitäten. Auch das accouchement , die Geburtshilfe, wurde daher gelehrt wie die Chirurgie, die Therapie von Brüchen und Verrenkungen und die Staatsarzneikunde. Mit der Gründung der Berliner Universität kamen Institute, Eleven,

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