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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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neuen Leben in Berlin bestreiten zu können. Schon jetzt fühlte sie sich elend bei dem Gedanken, diesen guten Menschen derart zu manipulieren. Und Friedrich, ach … Ratlos würde er sie beim Zubettgehen fragen, ob sie sich unwohl befände, und sie würde von einer Schwächung ihres Magens sprechen. Ihr graute vor alldem, denn guten Gewissens wandte sie Notlügen für gewöhnlich nur in weitaus weniger verwerflichen Lagen an.
    Sie war zu fassungslos, um zu erschrecken, als Elsa das Zimmer betrat, und sie machte nicht den leisesten Versuch, die Briefe verschwinden zu lassen.
    »Oh, Malvine!« Elsa stürzte sich ihr zu Füßen, barg den Kopf im Schoß ihrer Patin. »Ich habe mir so gewünscht,
mich dir anvertrauen zu können, aber ich hätte es nicht gewagt«, wisperte sie.
    Malvine war wie erstarrt. Sie ertappte sich bei der stillen Frage, ob Elsa ihr etwas vorspielte. Falls ja, tat sie es sehr überzeugend. Sie schluchzte mit zuckenden Schultern, während Malvines Tränen schlagartig versiegten.
    »Sieh mich an, Elsa«, sagte sie.
    Als sie in das Gesicht sah, das ihr ebenso vertraut war wie das ihrer Töchter, konnte Malvine keine Berechnung erkennen.
    »Ist dir bewusst, dass du dich wegwirfst?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte Elsa, »denn Wilhelm Ludwig ist nicht irgendwer.«
    »Guter Gott!« Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, so falsch klang es, Elsa diesen Namen aussprechen zu hören.
    »Und die Beharrlichkeit, mit der er mich umworben hat, sagt mir, dass ich ihm etwas bedeute.«
    »Er hat Jagd auf dich gemacht, das sagt mir, was ich in seinen Briefen lesen konnte.«
    Elsa raffte die Briefe aus Malvines Schoß und verknotete sie trotzig in das blaue Seidenband.
    »Und wenn schon«, sagte sie. »Er ist der Sohn des Königs von Preußen, er wird für mich seinen Einfluss geltend machen können.«
    Malvine hielt es nicht länger auf der Chaiselongue, deren Grün ihr mit einem Mal giftig vorkam.
    »Von welchem Einfluss redest du, Elsa? Herrgott, hast du denn vergessen, wie wir mit diesem Prinzen fieberten, dass er die Frau seines Herzens heiraten durfte, Eliza Radziwill, der du nicht unähnlich bist und deren Name auch noch dem
deinen gleicht? Alle Welt hat sich das Maul darüber in Fransen geredet, auch wir, erinnerst du dich denn wirklich nicht?«
    Sie sah hinab auf Elsa, die mit ihren Briefen auf dem Parkett saß wie ein kleines Mädchen mit seinem Lieblingsspielzeug.
    »Er musste sich seinem Vater fügen, der die Prinzessin für nicht standesgemäß hielt. Er hat sich gefügt, Elsa. Dieser Mann hat keinen Einfluss, er ist nicht einmal der Kronprinz, er ist der zweitgeborene Sohn, der dem Gebot seines Vaters ausgeliefert ist.«
    Auch Elsa erhob sich jetzt.
    »Es war wirklich dumm von mir, dich nicht rechtzeitig zurate zu ziehen«, sagte sie. »Wo du doch so gut im Bilde bist darüber, welcher Einsatz sich lohnt und welcher nicht.«
    »Solltest du mich wirklich so gründlich missverstanden haben?«
    »Jedenfalls richte ich mein Leben nicht danach aus, eine möglichst gute Partie zu machen.«
    »Daran brauchst du, fürchte ich, in Zukunft nicht mehr den geringsten Gedanken zu verschwenden, denn du hast dich bereits aller Möglichkeiten einer standesgemäßen Ehe beraubt.«
    Elsa wich vor Malvine zurück, bis sie mit dem Rücken den Pfosten ihres Bettes berührte. Sie zitterte am ganzen Leib.
    »Eine solche Ehe, und ich fürchte, arme Malvine, entgegen all deinen Bemühungen, auch die Ehe im Allgemeinen ist für mich nicht von Interesse. Du magst es sicher nicht hören, doch ich will dir sagen, dass ich es genieße, die Geliebte des zweitgeborenen Prinzen zu sein, denn ich habe ebensolche Freude an ihm wie er an mir.«

    »Das mag schon sein«, sagte Malvine, während ihr das Herz brach. »Denn dass Seine Hoheit Wilhelm Ludwig seine Amouren vorzugsweise in der Welt des Balletts und des Theaters sucht, erzählt man sich sogar auf den provinziellsten Gesellschaften in Marburg.«

    Natürlich war das Messer nicht das richtige, er hatte noch in vager Erinnerung, wie Hufelands Bestecke ausgesehen hatten. Die Aderlassmesser waren um einiges zierlicher, Klingen mit papierdünnen Lanzetten, die wie die Zähne eines Blutegels in die Haut dringen konnten und durch einen Federmechanismus zurückschnappten. Derart komfortable Mittel standen ihm nicht zur Verfügung, doch das war unerheblich. In der Bibliothek der Hofapotheke hatte er gelesen, dass man Zahnschmerzen mithilfe des Aderlasses erfolgreich bekämpft

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