Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Kralle unbedingt verhindern wollte, stellte seine Tochter die ideale Geisel dar. Eine Geisel, die man sich tunlichst bewahren sollte.
»Wenn die Große Loge von Spanien erfährt, dass wir Pontevedras Tochter haben«, sagte die Malicorne, »wird sie sie sicher einfordern. Also müssen wir sie außerhalb von Paris in Sicherheit bringen, irgendwo, wo niemand sie gegen unseren Willen finden wird.« Sie dachte einen Moment lang nach, dann verkündete sie: »Savelda möge sie ohne Umschweife ins Schloss von Torain bringen.«
»Wie, noch heute?«, fragte Gagnière besorgt. »Aber Madame …«
»Tut, was ich Euch sage.«
Da mischte sich plötzlich der Mann ein, der sich in der Kutsche verborgen hielt: »Der Kardinal hat die Klingen auf Pontevedras Wunsch hin einberufen …«
Die Vicomtesse lächelte.
Sie dachte darüber nach, dass sie Pontevedras Mission nun zum Scheitern bringen konnte, jetzt, da ihr seine Tochter in die Hände gefallen war. Doch sie konnte sie auch noch für einen anderen Zweck gut gebrauchen, und das ganz unmittelbar. Wie tief die Vatergefühle des Botschafters wirklich waren, würde sie noch bei anderer Gelegenheit auf die Probe stellen können.
»Lassen wir Pontevedra wissen, dass wir seine Tochter in
unserer Gewalt haben und dass er uns kleine Zeichen seines guten Willens geben muss, wenn er wünscht, sie lebend wiederzusehen. Das Erste wäre, dafür zu sorgen, dass Richelieu seine Klingen umgehend zurückruft. Das schafft uns diese lästigen Störenfriede vom Hals.«
»Wer soll Pontevedra die Nachricht überbringen?«, erkundigte sich Gagniére.
Die Vicomtesse blickte kurz nachdenklich drein, doch dann kam ihr eine Idee. »Monsieur de Laincourt wünscht heute Abend dem Initiationsritual unterzogen zu werden, nicht wahr? Dann soll er uns doch erst einmal seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Wenn er diese Mission erfolgreich abschließt, wird er belohnt werden.«
Nachdem Gagnière wieder aufgebrochen war, stieg die Vicomtesse in die Kutsche und fuhr davon. Sie nahm dem Mann gegenüber Platz, der sich Gagnière nicht zu erkennen gegeben und dem sie ihren kostbaren Reliquienschrein anvertraut hatte.
»Das ist sie also, die berüchtigte Seelenkugel?«, fragte er, als er ihr die Schatulle wieder aushändigte.
»Ja. Ohne sie wäre nichts von dem, was uns heute Abend erwartet, überhaupt möglich.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
»Das glaube ich Euch gern. Aber macht Euch darauf gefasst, dass die Erfahrung recht schmerzhaft sein wird. Für manche ist sie sogar tödlich.«
»Ganz egal.«
Die junge Frau lächelte Monsieur Jean de Lonlay, dem Sieur de Saint-Georges und Hauptmann der Garde des Kardinals, vertraulich zu.
Sollte er die Initiation überleben, würde er in der französischen Loge der Schwarzen Kralle einen Eingeweihten ersten Ranges abgeben.
12
La Fargue hatte noch niemandem erzählt, dass er Saint-Lucq rekrutiert hatte. Auch wenn sein Auftritt alle unerwartet traf, wunderte sich doch niemand ernstlich darüber. Schon allein, weil die Klingen ohne ihn sowieso nicht wirklich vollständig waren. Außerdem war er ein Einzelgänger und am erfolgreichsten, wenn er allein und verdeckt operierte. Noch dazu würden die Neuigkeiten, die er diesmal im Gepäck hatte, sowieso bald alle vollständig beschäftigen. Ohne Umschweife rückte er noch im Hof des Palais Épervier damit heraus.
»Agnès ist entführt worden.«
»Entführt?«, brüllte Ballardieu.
Außer sich vor Wut wollte er schon auf Saint-Lucq losgehen. Doch der blieb ruhig stehen und verteidigte sich nicht. Auch wich er nicht zurück. Es brauchte schon etwas mehr, um ihn zu beeindrucken.
Doch La Fargue ging sogleich dazwischen. »So lass ihn doch erst einmal erzählen, was passiert ist, Ballardieu.«
So berichtete das Mischblut schließlich ungerührt, was er gesehen hatte. »Wie Ihr mir aufgetragen hattet, überwachte ich dieses Haus …«
»Das von Cécile«, fügte La Fargue erklärend hinzu.
»Ich glaube, Agnès ist durch den Hintereingang ins Haus gelangt, denn ich habe sie vorne nicht bemerkt. Gleiches gilt
wohl für die Männer, die dann mit ihr aus dem Haus gekommen sind und sie mitgenommen haben.«
»Aber, verdammt noch mal, welche Männer denn?«, brüllte Ballardieu wieder.
»Ziemlich finstere Gesellen«, erwiderte Saint-Lucq ruhig.
»Und du hast überhaupt nichts unternommen?«
»Nein. Agnès wollte es nicht. Sie wollte von denen mitgenommen werden.«
»Woher willst du das wissen?«
»Agnès hat
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