Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
gewesen, der das Versteck gefunden und geplündert
hatte. Die beiden hatten sich nur verpasst, weil Agnès mit der Sänfte gekommen war, in der er sie nicht vermuten konnte, und weil sie das Haus durch den Hintereingang betreten hatte, während er nur die Vorderseite im Blick hatte.
Als er erkannte, dass Agnès von den Männern entführt wurde, griff er sogleich nach seinem Degen und wollte ihr schon zu Hilfe eilen – und wenn er immer noch der Alte war, wäre die Angelegenheit damit auch ruckzuck erledigt gewesen. Doch die falsche Gefangene hielt ihn mit einem beschwörenden Blick zurück, in der Hoffnung, er würde ihn richtig deuten.
Manchmal musste man sich dem Löwen zum Fraß vorzuwerfen, um in seine Höhle zu gelangen.
10
Um die Mittagszeit kamen La Fargue und Almadès zurück, schwitzend, rußig und blutverschmiert. Das Hufgetrappel ihrer Pferde erschallte auf dem Pflaster des Hofes und erweckte das Palais Épervier aus seiner müden Trübsal. Sie übergaben ihre Pferde Guibot, der so schnell ihn sein Holzbein tragen konnte herbeigeeilt war, und stürmten die Stufen der Außentreppe hinauf.
»Kriegsrat!«, befahl der Hauptmann mit lauter Stimme, als er in den großen Saal des Hauptgebäudes platzte.
Leprat, den sein verletztes Bein sowieso an den Sessel fesselte, war bereits da, und Marciac kam schnell hinzu. Irgendetwas Wichtiges war passiert, und Leprat und der Gascogner
warteten gespannt. La Fargue schritt unruhig auf und ab. Schließlich rief er ungeduldig: »Was ist mit den anderen?«
»Agnès ist gerade unterwegs«, berichtete Marciac.
»Und Ballardieu?«
»Da bin ich schon«, rief der alte Soldat im Hereinkommen.
Er hatte La Fargue und Almadès auf der Straße vorbeireiten sehen, als er gerade aus dem Palais de la Cité zurückkehrte, wo er Saint-Lucq aus den Augen verloren hatte.
»Agnès unterwegs?«, fragte La Fargue in die Runde. »Wohin ist sie denn gegangen?«
Leprat, der keine Ahnung hatte, wo sie war, zuckte mit den Schultern.
»Sie wollte sich in Céciles Haus umsehen«, erklärte Marciac.
»Allein?«, wollte Ballardieu besorgt wissen.
»Ja.«
»Da muss ich sofort hin.«
»Nein«, befahl La Fargue, sichtlich verärgert. »Du bleibst hier.«
»Aber Hauptmann …«
»Du bleibst!«
Ballardieu wollte weiter protestieren, doch Almadès klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
»Agnès wird schon wissen, was sie tut.«
Widerwillig fügte sich der alte Soldat.
»Marciac«, sagte La Fargue, »die Türen.«
Der Gascogner tat wie ihm geheißen und schloss alle Türen des Saals. Als er damit fertig war, verkündete der Hauptmann: »Wir haben Castilla gefunden. Man hat ihn gefoltert und dem Tode geweiht.«
»Ist er tot?«, wollte Leprat wissen.
»Nein. Aber es geht ihm sehr schlecht. Seine Peiniger haben ihn nicht geschont. Almadès und ich konnten ihn noch im letzten Moment vor dem Feuer retten, das ihn hätte auslöschen sollen. Wir haben ihn direkt ins Hôpital Saint-Louis gebracht, das sich glücklicherweise ganz in der Nähe befand.«
»Hat er noch etwas gesagt?«
»Nur zwei Worte«, erwiderte Almadès. » Garra negra . Die Schwarze Kralle.«
Alle erstarrten. Sie wussten, was das zu bedeuten hatte.
Die Schwarze Kralle war ein Geheimbund, der in Spanien und anderen Teilen Europas bereits große Macht hatte. Geheim bedeutete in diesem Falle nicht, dass niemand von seiner Existenz wusste, sondern dass sich seine Mitglieder nicht zu erkennen gaben. Und das aus gutem Grund.
Angeführt von machtgierigen Drachen, schreckte der Bund vor nichts und niemandem zurück, um seine Interessen durchzusetzen. Lange Zeit hatte man geglaubt, er unterstünde Spaniens Krone. Doch obwohl sich die einflussreichste und zielstrebigste Loge in Madrid befand, stimmten ihre Interessen nicht immer mit denen des spanischen Hofes überein, und manchmal liefen sie sich sogar völlig zuwider. Die finsteren Meister der Schwarzen Kralle wollten ganz Europa ins Chaos stürzen, um es dadurch für eine absolute Herrschaft der Drachennachfahren gefügig zu machen. Ein Chaos, das letztlich auch den spanischen Hof nicht verschonen würde.
Die Schwarze Kralle war nirgends mächtiger und weiter verbreitet als in Spanien, doch sie war auch in den Niederlanden, Italien und Deutschland am Werk. Dort hatte sie bereits Logen errichtet, die jedoch der Autorität der Madrider Loge unterstellt waren, die die mächtigste, älteste und am meisten gefürchtete
unter ihnen war. Frankreich dagegen hatte sich bis jetzt
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