Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
kühnsten Vermutungen. Es
ging um nichts Geringeres als eine Annäherung, wenn nicht gar einen Bund zwischen Frankreich und Spanien herbeizuführen. Aber war das überhaupt möglich? Wenn ja, würde dies die politische Lage Europas nachhaltig verändern und Auswirkungen auf das Schicksal von Millionen Menschen haben.
An jenem Tag kehrte der Graf von Pontevedra bereits recht früh aus dem Louvre zurück. Er fuhr in einer prachtvollen Kutsche, umgeben von ein paar Dutzend Bewaffneten, die nicht nur für seine Sicherheit sorgen, sondern durch ihre Vielzahl und Eleganz auch seinen Status zur Geltung bringen sollten. Im Palais in der Rue de Tournon angekommen, zog er sich eiligen Schrittes in seine Gemächer zurück, schickte die Bediensteten weg und schlug sogar die Hilfe seines Kammerdieners aus, der ihm beim Ablegen seines kostbaren Brokatwamses und des mit Gold verzierten Wehrgehänges zur Hand gehen wollte. Er schenkte sich ein Glas Wein ein und ließ sich in einen Sessel fallen. Er war besorgt. Doch es waren nicht die diplomatischen Verhandlungen, die ihn Tag und Nacht beschäftigten.
Plötzlich quietschte eine Tür in den Angeln.
Der Botschafter fuhr wütend hoch, bereit, den Störenfried zurechtzuweisen – und erstarrte. Er sah sich nach seinem Degen um. Doch der befand sich ungünstigerweise nicht in Reichweite.
»Das wäre Selbstmord, Monsieur«, sagte Laincourt, der aus einem der Nebenzimmer eingetreten war.
Er hatte eine Pistole auf den Grafen gerichtet.
»Ich brauche nur zu rufen, und sofort sind hier zehn bewaffnete Männer.«
»Auch das käme einem Selbstmord gleich. Ihr kennt mich
nicht, aber ich versichere Euch, dass Euch meine Kugel aus dieser Entfernung mitten in die Stirn treffen würde.«
»Richtig, ich kenne Euch nicht. Also, wer seid Ihr?«
»Ich bin nicht hier, um Euch zu töten. Ich bin hier, um Euch eine Botschaft zu überbringen.«
»Wer schickt Euch?«
»Die Schwarze Kralle.«
Mit seinen gut fünfzig Jahren sah der Botschafter für sein Alter noch schmuck aus. Er war groß gewachsen, würdevoll, hatte bereits graue Schläfen, und eine kleine Narbe erstreckte sich über seinen Wangenknochen. Er zitterte nicht, aber er wurde blass.
»Es sieht so aus«, fuhr Laincourt fort, »als ahntet Ihr bereits den Grund für meinen Besuch …«
»Sprecht, Monsieur.«
»Wir haben Eure Tochter in unserer Gewalt.«
Pontevedra stand wie versteinert da.
»Ihr glaubt mir wohl nicht«, sagte Laincourt nach einer Weile.
»Warum sollte ich Euch glauben? Habt Ihr irgendwelche Beweise? Etwa ein Schmuckstück, das eindeutig ihr gehört? Oder vielleicht eine Haarsträhne?«
»Weder ein Schmuckstück noch eine Haarsträhne. Aber ich komme gern mit einem Auge von ihr wieder …«
Schweigen machte sich breit, und die beiden Männer starrten einander prüfend an.
Schließlich gab der Botschafter nach. »Ist sie wohlauf?«
»Trotz der Umstände geht es ihr ganz hervorragend. Während wir hier sprechen, bringt man sie gerade wohlbehütet an einen sicheren Ort.«
»Was fordert Ihr? Lösegeld?«
Laincourt setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf. »So nehmt doch erst einmal Platz, Monsieur. In diesem Sessel, wenn ich bitten darf. Damit seid Ihr auch außer Reichweite des Tisches, dem Ihr Euch unmerklich zu nähern versucht, und des spitzen Brieföffners, der dort liegt.«
Pontevedra kam seiner Aufforderung ohne Umschweife nach.
Daraufhin setzte sich auch der Abgesandte der Schwarzen Kralle. Die Pistole jedoch hielt er weiterhin auf den Botschafter gerichtet. »Es war einmal«, begann Laincourt, »ein abenteuerlustiger, französischer Adliger, der es zum Granden von Spanien gebracht hat. Dieser Adlige hatte eine Tochter, die sich ihm jedoch zunehmend entfremdete. Das gefiel dem Edelmann ganz und gar nicht. Doch eines Tages lief seine Tochter davon, überquerte als Mann verkleidet die Grenze und tauchte in Paris unter. Davon bekam der Adlige Wind, und außerdem erfuhr er durch seine Spione, dass auch einige seiner mächtigsten Feinde seine Tochter verfolgten. Selbstverständlich machte sich der Edelmann deshalb große Sorgen … Was haltet Ihr von diesem Märchen, Monsieur? Ist es so gut, dass es verdient, zu Ende erzählt zu werden?«
Pontevedra nickte.
»In diesem Fall erzähle ich natürlich gern weiter. Zur selben Zeit liefen in Madrid die Vorbereitungen für eine diplomatische Mission. Spann unser Edelmann gar Intrigen, um mit dieser Mission betraut zu werden, oder war ihm das Schicksal einfach
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