Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
mich auf der Straße gesehen. Sie warf mir einen Blick zu, und ich habe ihn verstanden.«
»Natürlich, weil du ja so schlau bist!«
»Schlauer als du allemal.«
»WAS?«
Ballardieu baute sich mit hochrotem Gesicht vor Saint-Lucq auf, doch der musterte ihn völlig ungerührt. »Du hast mich schon richtig verstanden.«
»Jetzt reicht es aber!,« mischte sich La Fargue schließlich mit lauter Stimme ein.
Leprat, der trotz seines verletzten Beins mit in den Hof gekommen war, zog Ballardieu am Arm zurück. Nur Marciac, der gerade dabei war, Cécile aus ihrem Zimmer herbei zu holen, fehlte. »Erzähl weiter, Saint-Lucq. Was ist dann passiert?«
»Dann? Nichts … Ich bin ihnen so lange wie möglich auf den Fersen geblieben, aber bald sind sie zu Pferde weiter, und ich war zu Fuß unterwegs.«
»Was ist denn los?«, fragte Marciac erstaunt, als er wieder in den Hof kam und sah, wie Leprat versuchte, Ballardieu zu beruhigen. »Ach! Willkommen, Saint-Lucq.«
»Agnès ist entführt worden«, informierte ihn La Fargue knapp.
»Oh? Von wem?«
»Einer Handvoll finsterer Schergen, angeführt von einem Einäugigen, dem die Ranz schon deutlich ins Gesicht geschrieben stand«, berichtete das Mischblut.
»Etwa mein ranzkranker Einäugiger?«, erkundigte sich der Gascogner. »Der von heute Nacht?«
»Und der von heute Morgen«, merkte Almadès an. »Die Reiter, denen wir heute auf der Straße begegnet sind, wurden auch von einem von der Ranz gezeichneten Einäugigen angeführt.«
»Das bedeutet, dass Agnès in die Hände der Schwarzen Kralle gefallen ist«, folgerte La Fargue. »Sie hat sich von ihnen mitnehmen lassen, um unsere Gegner zu demaskieren, aber sie konnte ja nicht ahnen …«
»Ich fürchte, auch ich habe eine schlechte Nachricht für euch«, sagte Marciac. »Cécile ist verschwunden. Sie hat sich wohl aus dem Staub gemacht.«
»Verdammt!«
Wie ein Pistolenschuss hallte der Fluch des Hauptmanns über den Hof.
Die Klingen stellten das ganze Palais Épervier auf den Kopf. Dann, als kein Zweifel mehr bestand, dass Cécile verschwun den war, versammelten sie sich wieder im großen Saal. Die junge Frau war höchstwahrscheinlich durch den Garten entwischt, denn das eiserne Tor stand offen. Von dort aus konnte man mühelos in einem Gewirr aus verwinkelten Gässchen und Passagen untertauchen. Auch eine weitläufige Suche in diesem Labyrinth erwies sich als vergeblich.
»Mir dünkt, sie hat unsere Lagebesprechung belauscht«, sagte Marciac. »Zweifelsohne hat sie es vorgezogen, sich davonzustehlen,
um den Fragen zu entgehen, die wir ihr sonst gestellt hätten. Wir haben sie wohl unterschätzt. Sie ist wohl doch nicht nur die arme kleine Waise, die ohne ihr Verschulden in den Strudel einer Intrige geraten ist. Ich wette sogar, dass es diese Schwester, die angeblich zur selben Zeit wie der Chevalier d’Irebàn verschwunden ist, in Wahrheit überhaupt nicht gibt.«
»Irebàn und sie sind ein und dieselbe Person«, verkündete Saint-Lucq und legte ein Bündel mit Dokumenten auf den Tisch. »Das habe ich bei ihr gefunden. Darin steht, dass sie die Tochter eines spanischen Granden ist, dass Castilla und sie ein Liebespaar sind, das zusammen entflohen ist, und dass sich Cécile als Mann verkleidet hat, um ihre Verfolger in die Irre zu führen. Dort steht aber auch, dass Cécile und Castilla nicht nur die Wut des Vaters zu fürchten haben, sondern auch noch einen geheimnisvollen Feind.«
»Die Schwarze Kralle«, tippte Leprat.
»Darf ich euch daran erinnern, dass sich Agnès in den Fängen genau dieser Schwarzen Kralle befindet?«, warf Ballardieu mit tonloser Stimme ein. Er versuchte, seine Wut zu zügeln. »Das ist doch jetzt wohl das Wichtigste, oder?«
»Ja«, beschwichtigte ihn La Fargue. »Aber vielleicht können wir Agnès besser helfen, wenn wir die wahren Hintergründe der Geschichte erst einmal kennen …«
»Und ich sage Euch, dass wir uns daran machen sollten, sie zu suchen, und zwar sofort!«
»Agnès hat sich freiwillig in die Höhle des Löwen begeben«, mischte sich Leprat in die Diskussion ein. »Aber sicher war ihr nicht bewusst, mit welchem Löwen sie da wirklich zu tun hat.«
»Sie ging ganz nah an mir vorbei«, berichtete Saint-Lucq.
»Ich habe gehört, wie der Einäugige mit ihr sprach, als er und seine Kumpane sie wegschafften. Offensichtlich hielt er sie für Cécile. Doch sie werden ihren Irrtum sicher bald bemerken. Ballardieu hat recht: Die Zeit drängt.«
»Wen können wir um
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