Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
zu werden. Sie hatte weder etwas Ungewöhnliches noch einen Verdächtigen entdecken können. Nachdem sie schließlich in der Rue d’Orléans ausgestiegen war, schlug sie einen Umweg ein, um das Haus von hinten, also durch den Garten zu betreten, und achtete dabei immer darauf, keine neugierigen Blicke auf sich zu ziehen.
Nun hatte Agnès den Beweis. Zunächst einmal hatte sie sich nicht geirrt, was Céciles Absichten betraf: Sie hatte etwas in ihrem Zimmer versteckt, etwas, das so bedeutend war, dass sie trotz der herrschenden Gefahr hierher zurückkehren und sogar Marciac becircen wollte, um ihn dazu zu bringen, sie zu begleiten. Doch irgendjemand war Agnès zuvorgekommen.
Aber wer?
Höchstwahrscheinlich diejenigen, die versucht hatten, Cécile zu entführen …
Zusammengefasst ließ sich nur feststellen, dass das Versteck nicht besonders groß war und keinerlei Rückschlüsse auf seinen früheren Inhalt zuließ. Das Beste war es da wohl, sich bei derjenigen zu erkundigen, die das größte Interesse daran hatte. Agnès war überhaupt der Ansicht, die Klingen
hätten Cécile nun lange genug mit Samthandschuhen angefasst. Gewiss, die junge Frau hatte einen aufwühlenden Entführungsversuch hinter sich, und sie schien für solche Abenteuer nicht gerade gewappnet zu sein. Aber die Dankbarkeit, die sie ihren neuen Beschützern gegenüber verspürte, schien nicht so weit zu gehen, dass sie auch mit offenen Karten spielte. Agnès war jetzt überzeugt, dass Cécile ein doppeltes Spiel mit ihnen trieb, und wollte das nicht länger hinnehmen.
Um nichts unversucht gelassen zu haben, ging sie noch Zimmer für Zimmer das ganze restliche Haus ab. Doch vergeblich. Als sie schließlich wieder aufbrechen wollte und die kleine Tür zum Garten öffnete, stieß sie fast mit einem bewaffneten, einäugigen Mann ganz in Schwarz zusammen, der zuerst ebenso überrascht war wie sie. Aber bald breitete sich über das von der Ranz gezeichnete Gesicht ein fieses Grinsen aus.
»Sie an, sieh an«, sagte er mit starkem spanischen Akzent. »Das flüchtige Vögelchen ist in sein Nest zurückgekehrt...«
Agnès begriff sofort.
Sie trug ein schlichtes einfarbiges Kleid und einen leichten braunen Kapuzenmantel. Sie hatte sich absichtlich einfach gekleidet. Da sie nicht wissen konnte, ob sie eine Sänfte bekommen würde, war die junge Baronin zunächst davon ausgegangen, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen. Außerdem hatte sie damit gerechnet, vielleicht erst umherstreifen zu müssen, bis sie das richtige Haus gefunden hatte. Sie wollte also so wenig wie möglich auffallen, und das erreichte man am besten, indem man weder reich noch arm wirkte. Aber genauso wie sie jetzt könnte auch Cécile gekleidet sein. Au ßerdem waren beide, Agnès und sie, jung und hübsch und hatten langes braunes Haar. Wenn der Einäugige Cécile also
noch nie gesehen hatte und nur eine grobe Beschreibung von ihr kannte, war es kein Wunder, dass er sie verwechselte.
Agnès setzte sofort eine ängstliche Miene auf, wie es sich für eine schutzlose junge Frau in den Händen eines Furcht einflößenden Bösewichtes wohl gehörte. Der Einäugige war im Übrigen nicht allein, sondern begleitet von einigen weiteren finster dreinblickenden Schurken.
»Der Himmel ist mein Zeuge«, säuselte der Spanier mit dem von der Ranz zerfressenen Auge scheinheilig. »So viel Glück habe ich gar nicht erwartet, als ich hierher kam … Darf ich mich vorstellen, Cécile? Mein Name ist Savelda.«
»Was wollt Ihr von mir?«
»Ich weiß es nicht, und im Übrigen habe ich darüber auch nicht zu entscheiden. Aber Ihr habt mein Wort, dass Euch kein Leid geschehen wird, sofern Ihr uns jetzt keine Scherereien macht. Nun, Cécile? Wollt Ihr vernünftig sein?«
»Ja.«
Wenig später ging Agnès hinter Savelda die Rue de la Fontaine hinunter, eng umzingelt von den Schergen der Schwarzen Kralle. Da sah sie Saint-Lucq, den sie sofort wiedererkannte: Er stand unauffällig an einer Straßenecke, in dunkle Kleidung gehüllt, den Degen an der Seite, und beobachtete das Treiben durch seine unverwechselbaren roten Augengläser.
Agnès war so überrascht, dass sie sich beinahe verraten hätte. Das Mischblut war der Einzige, der noch fehlte, damit die Klingen des Kardinals wieder vollzählig waren, und La Fargue hatte seine Rückkehr noch niemandem angekündigt. Doch dass er nun hier auftauchte, konnte einfach kein Zufall sein. Wahrscheinlich hatte er das Haus bewacht. Vielleicht war er es sogar
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