Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Pfad hinauf.
Dann hielt sie plötzlich an.
Savelda stieg als Erster aus, hielt Agnès die Tür auf und bedeutete ihr zu folgen. Als sie aus der düsteren Kutsche stieg, blendete sie die Sonne zunächst so, dass sie draußen kaum etwas sehen konnte. Schließlich erkannte sie rundherum Ruinen und die bereits größtenteils eingestürzte Festungsmauer eines alten Schlosses mit einem markanten, hohen und völlig von Efeu überwucherten Turm.
Abgelegen auf der felsigen, bewaldeten Anhöhe über dem Chevreuse- Tal, herrschte rund um das alte Gemäuer reges Treiben, das nicht so recht zu den alten Steinen passen wollte. Dort waren Männer und Draqs gemeinsam zugange, stellten Fackeln auf und errichteten Scheiterhaufen. Rund um eine Holzbühne bauten sie Zuschauerränge auf. Karren voll mit Baumaterialien fuhren vor, und ständig trafen Reiter ein oder brachen wieder auf. Die Verantwortlichen erteilten Befehle und verteilten Aufgaben, und am Himmel über dem Platz kreiste eine Wyverne. Eine zweite wartete bereits gesattelt unter dem Vordach eines Schobers.
Savelda packte Agnès am Arm und brachte sie in ein kleines Gebäude, von dem fast nur noch die Außenmauern standen und das bereits von Gestrüpp überwuchert war. Dort führte er sie eine Treppe hinunter, die in den Fels gehauen war. An ihrem Fuße wurden sie bereits von einem weiteren Schergen erwartet. Als er sie erblickte, öffnete er sogleich eine Tür, und Agnès trat in einen staubigen Keller voller Schutt und Geröll. In der Ecke stand ein alter Brotofen. Licht drang hier nur durch ein schmales, halbmondförmiges Kellerfenster
herein, das auf den Hof hinausging. Eine dicke Frau legte das Strickzeug beiseite und erhob sich von ihrem Stuhl.
»Pass auf sie auf«, befahl ihr Savelda. Dann wandte er sich der Gefangenen zu: »Macht keine Dummheiten. Sofern Ihr gehorcht, wird Euch kein Leid geschehen.«
Agnès nickte. Daraufhin verschwand der Einäugige wieder durch die Tür und ließ sie mit ihrer Bewacherin zurück. Da sich diese nicht um sie zu kümmern schien, begab sich Agnès nach einer Weile zu dem Kellerfenster, griff nach den Gitterstäben und zog sich daran hoch, bis sie auf den Zehenspitzen stand. So konnte sie einen Blick nach draußen werfen und dabei unauffällig die Stabilität der Gitterstäbe testen.
Irgendeine große Sache war hier im Gange, und Agnès wusste, dass sie trotz der Gefahr, der sie sich damit aussetzte, recht daran getan hatte, sich hierher bringen zu lassen.
15
Das Krankenhaus Saint-Louis war außerhalb der Stadtgrenzen von Paris errichtet worden und ähnelte eher einer Festung, da es für die Unterbringung von Pestkranken bestimmt war. Sein Grundstein war im Jahre 1607 gelegt worden, als eine schwere Pestepidemie die Kapazitäten des Hôtel-Dieu , das damals noch das einzige Krankenhaus der Stadt war, sprengte. Das neue Hospital umfasste vier Hauptgebäude, die um einen quadratischen Innenhof angeordnet waren. Zwei massive Befestigungsgürtel trennten es von der Außenwelt, und dazwischen lagen die Wohnstätten der Krankenhausangestellten,
Schwestern und Ordensleute. Die Bürogebäude, Küchen, Vorratslager und Bäckereien lagen direkt vor der äußersten Mauer, und rundherum erstreckten sich Gärten, Felder und Weiden bis hin zum Faubourg Saint-Denis .
Nachdem sich Marciac ausgewiesen hatte, ließ er sich den Weg zu dem riesigen Saal zeigen, in dem auf einem der unzähligen Betten zwischen all dem Gestöhne und Gewimmer der Kranken Castilla lag. Cécile saß an seinem Bett. Blass und mit vom Weinen geröteten Augen wischte sie ihm immer wieder die Stirn ab. Der Verletzte war gewaschen und verbunden worden, doch sein Gesicht war angeschwollen und schrecklich entstellt. Zwar atmete er noch, aber er reagierte kaum.
»Lasst mich«, sagte die junge Frau, als sie Marciac kommen sah. »Lasst uns in Ruhe.«
»Cécile …«
»Das ist nicht mein Name.«
»Das ist doch jetzt nicht wichtig.«
»O doch! Denn wenn ich nicht die wäre, die ich bin, und wenn derjenige, der behauptet, mein Vater zu sein, nicht der wäre, der er ist, dann wäre das alles hier nicht passiert. Und er würde leben.«
»Er ist noch nicht tot.«
»Die Schwestern sagen, er werde diese Nacht nicht überstehen.«
»Das können sie doch gar nicht wissen. Ich habe schon viele Männer Verletzungen überleben sehen, die man für absolut tödlich gehalten hatte.«
Die junge Frau antwortete nicht und schien den Gascogner schon wieder vergessen zu haben. Sie hatte
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