Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
das ihr nicht nur als Gewand, sondern auch als Glücksbringer im Kampf diente. Auf ihrer Stirn glänzte Schweiß, und aus dem schweren, im Nacken geflochtenen Zopf hatten sich einige widerspenstige Strähnen gelöst.
»Ich bin mit Courage ausgeritten«, sagte die junge Frau, immer noch außer Atem.
Marion bewies mit einem Nicken, dass sie zuhörte.
»Ich habe ihn im kleinen Tal ganz schön angetrieben und glaube, er hat sich wieder völlig von seiner Verletzung erholt.«
Auch dazu sagte die Haushälterin nichts.
»Teufel! Ich sterbe vor Durst.«
Agnès ging zu einer steinernen Zisterne in der Ecke, die einen kleinen Hahn speiste. Sie beugte sich darüber, trank aus der hohlen Hand und richtete dabei auf den umliegenden Steinplatten eine kleine Überschwemmung an. Dann griff sie sich ein Stück Brot, das auf der Anrichte herumlag, und fing an, das weiße Innere herauszuknabbern.
»Habt Ihr heute überhaupt schon etwas gegessen?«, fragte Marion.
»Nein.«
»Ich werde Euch etwas anrichten. Sagt mir, nach was Euch ist.«
Als sie sich erheben wollte, hielt die junge Frau sie mit einer Geste zurück.
»Bemüh dich nicht. Ich brauche nichts.«
»Aber …«
»Ich habe doch gesagt, dass ich nichts brauche.«
Die Bedienstete zuckte mit den Schultern und machte sich wieder an ihr Werk.
Agnès lehnte sich an den Türrahmen, ein Bein auf der Bank daneben, und betrachtete sie. Sie war immer noch anziehend, üppig gebaut, und unter ihrer Leinenhaube sprangen ein paar silberne Strähnen hervor. Viele Männer hatten ihr einst den Hof gemacht, und gelegentlich warben sie noch heute um sie. Aber sie hatte nie geheiratet, was in dieser Gegend am Ufer des Flusses Oise die Gemüter erregte.
Es herrschte ein Moment des Schweigens zwischen den Frauen, dann konnte sich Marion nicht zurückhalten und sagte: »Ich habe heute Morgen eine Kutsche abfahren gehört.«
»Das ist gut. Du bist also noch nicht taub.«
»Wer war denn das?«
Agnès schmiss ihr Brotstück, das mittlerweile nur noch eine leere Kruste war, auf den Tisch. »Wen interessiert das schon? Ich erinnere mich bloß, dass er gut gebaut war und wusste, wie es geht.«
»Agnès!», rief Marion empört. Doch ihre Stimme klang dabei eher traurig als vorwurfsvoll. Resigniert schüttelte sie den Kopf und setzte an: »Wenn Eure Mutter …«
»Fang nicht wieder damit an!», unterbrach sie Agnès de Vaudreuil ungehalten. Plötzlich war sie kühl und wie erstarrt, doch ihre smaragdgrünen Augen funkelten wütend. »Meine Mutter ist gestorben, als sie mich zur Welt brachte, da kannst du mir viel erzählen. Und was meinen Vater betrifft: Der war ein Schwein, der sein Leben lang jedem Rock hinterherlief. Und so viel ich weiß, warst auch du eines Winters mit von der Partie. Also mach du mir keine Vorwürfe darüber,
wie ich gelegentlich mein Bett garniere. Das sind nämlich die einzigen Momente, in denen ich halbwegs spüre, dass ich noch lebe, seit …« Zitternd und den Tränen nahe brach sie ab.
Marion machte ein betroffenes Gesicht und wendete sich blass wieder ihren Töpfen zu, die sie energischer als nötig zu polieren begann.
Mit ihren vierzig Jahren kannte sie Agnès seit deren Geburt und hatte den Todeskampf der Mutter miterlebt, die fünf lange Tage nach der Niederkunft dahinschied. Der Baron von Vaudreuil war damals, nach einem Feldzug an der Seite des künftigen König Heinrich IV. während der Religionskriege, zu sehr damit beschäftigt, mit hübschen Damen herumzuschäkern, als dass er sich um das tragische Los seiner jungen Frau hätte kümmern können. Als er erfuhr, dass das Kind ein Mädchen war, hatte er nicht einmal so viel Anstand bewiesen, zum Begräbnis der Mutter zu erscheinen. Der Obhut von Marion und einem mürrischen Soldaten namens Ballardieu überlassen, sollte das kleine Mädchen ihren Vater erst vier Jahre später zu Gesicht bekommen. Und während dieses kurzen Aufenthalts auf seinen Ländereien hatte er es auch geschafft, Marion in sein Bett zu locken. Man hätte es Hingabe nennen können, wenn sie das Recht gehabt hätte abzulehnen. Doch er war nicht die Sorte Mann, der die Zurückweisung durch eine Hausangestellte hingenommen hätte. Ohne lange zu fackeln hätte man Marion aus dem Hause gejagt, aber sie wollte auf keinen Fall von der kleinen Agnès getrennt werden, die ihre Betreuerin sehr ins Herz geschlossen hatte und sonst niemanden mehr hatte, der ihr nahe stand. Der Baron fand es äußerst amüsant, dass sich seine Eroberung,
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