Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
war, musste er eine abrupte Wendung hinlegen, damit er mit ihr Schritt halten konnte.
»Was ist es diesmal?«, fragte Agnès unwirsch.
Der Wirt war ein kleiner Mann mit dürren Beinchen und einem Bauch, so rund wie ein Ballon. Er trug eine kurze Weste über dem Hemd, und um die Hüfte hatte er eine Schürze gezurrt, die ihm bis zu den Knien reichte.
»Gott sei es gedankt, dass Ihr da seid, Madame.«
»Statt dem Himmel solltet ihr lieber dem Burschen danken, der mir Bescheid gegeben hat, Meister Leonard. Wo ist Ballardieu? Und was hat er angestellt?«
»Er ist drinnen, Madame.«
»Warum sind die Leute so aufgebracht?«
»Weil ihre Mäntel oder ihr Gepäck noch in der Gaststube sind, Madame.«
»Warum gehen sie sie dann nicht holen?«
»Weil Monsieur Ballardieu niemandem mehr erlaubt, die Gaststube zu betreten.«
Agnès blieb stehen.
Der Wirt, überrascht von ihrem plötzlichen Innehalten, war schon zwei Schritt vorausgeeilt, bevor auch er zum Stehen kam.
»Habe ich das richtig verstanden, Meister Leonard?«
»So ist es, Madame. Er droht, jedem eine Kugel in den Kopf zu jagen, der es wagt, die Tür zu öffnen – es sei denn, Ihr seid es.«
»Er hat doch gar keine Pistole? Ist er betrunken?«
Meister Leonard sah sie mit einem Ausdruck an, als wäre er nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte und befürchtete, etwas Falsches zu sagen. »Ihr meint, betrunkener als gewöhnlich?«
Die Baronin ließ einen gereizten Seufzer vernehmen. »Ja, genau das wollte ich damit in Erfahrung bringen.«
»Nun, Madame, er ist sternhagelvoll.«
»Verdammter Trunkenbold! Er kann einfach nicht Maß halten«, schimpfte sie vor sich hin.
»Ich fürchte, das ist wirklich nicht seine Stärke, Madame. Oder es entspricht einfach nicht seiner Art, nüchtern zu bleiben …«
»Wie hat das alles eigentlich angefangen?«
»Nun …« Der Wirt zögerte. Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. »Da waren diese Herren … Bitte bedenkt, dass sie gerade ein vorzügliches Mahl zu sich genommen hatten. Es war also eher der Wein, der aus ihnen sprach …«
»Von mir aus. Und?«
»Einige ihrer Ausführungen missfielen Monsieur Ballardieu …«
»Was er ihnen dann auf seine Weise zu verstehen gab. Gut, ich habe schon begriffen. Wo sind diese Herren jetzt?«
Der Wirt wirkte erstaunt. »Aber Madame, sie sind noch immer da drin!«
»Und um wen handelt es sich dann bei den drei Verwundeten da draußen?«
»Ach, die haben nur versucht, dazwischenzugehen.«
Agnès verdrehte die Augen zum Himmel und setzte sich wieder in Bewegung. Meister Leonard eilte voraus, um ihr den Weg durch die Schaulustigen zu bahnen.
Als sie eintreten wollte, sagte ein stattlicher Offizier: »Meine Dame, ich rate Euch dringend davon ab, diese Tür zu öffnen.«
»Und ich rate Euch, mir aus dem Weg zu gehen, mein Herr«, erwiderte die Baronin schlagfertig.
Der Offizier, eher erstaunt als erbost, trat zur Seite. Da begriff Agnès, dass er sich nur ritterlich hatte zeigen wollen, und fügte freundlich hinzu: »Seid unbesorgt, mein Herr. Der Mann, der den Gasthof hier belagert, ist mir bestens bekannt.«
»Was?«, mischte sich da der Gast mit dem verbeulten Filzhut ein. »Ihr kennt diesen Wahnsinnigen?«
»Zügelt Eure Zunge, mein Herr«, entgegnete Agnès de Vaudreuil mit eisiger Stimme. »Sonst kann ich die Behandlung, die er Euch angedeihen ließ, auch gern fortsetzen, und das wird Euch dann ein wenig mehr kosten als nur einen Hut.«
»Wünscht Ihr, dass ich Euch begleite?«, bot der Offizier ihr liebenswürdig an.
»Vielen Dank, mein Herr. Aber das ist nicht nötig.«
»Wie Ihr meint, gnädige Frau.«
Sie nickte ihm freundlich zu und trat ein.
In der Gaststube war es still, und überall lagen zerbrochene Stühle, umgestoßene Tische und zerschlagenes Geschirr herum. An den Wänden zeugten rote Weinflecken davon, dass dort volle Krüge zerschellt waren. In einem Fenster fehlten Stücke der Scheibe. Die Scherben einer Servierplatte lagen am Boden verstreut. Der Bratspieß über der Feuerstelle hing nur noch an einem Ende, und der praktische, auf Gewichten beruhende Drehmechanismus klapperte unnütz vor sich hin.
»Endlich!«, rief Ballardieu, als begrüße er einen lang ersehnten Besucher.
Triumphierend thronte er inmitten des Chaos und stützte sich mit einem Bein an einem Pfeiler ab. Sein Wams aus rotem Velours war über der massiven, behaarten Brust aufgeknöpft, und trotz – oder gar wegen – einer aufgeplatzten Lippe und einem blauen
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