Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
sofort und kam gleich darauf mit einer Pistole wieder, die er seiner Mutter in die Hand drückte.
»Versteck dich, Tonin.«
»Aber Mama …«
»Versteck dich unter dem Bett und komm erst wieder heraus, wenn ich es dir sage.«
Der Nachmittag ging bereits zur Neige, und ein warmer Wind strich über das Land. So weit das Auge reichte, gab es keine anderen Häuser. Das nächste Dorf befand sich etwa eine Meile entfernt, und auch der Weg dahin verlief in einigem Abstand von der kleinen Behausung. Selbst Hausierer und Almanach-Händler verschlug es nur ganz selten hierher. In dieser abgelegenen, ländlichen Ecke Frankreichs war man völlig auf sich allein gestellt.
Die Frau prüfte, ob die Waffe geladen und das Schießpulver in der Büchse auch schön trocken war. Dann ließ sie ihren Arm mit der Waffe locker hinter dem Rücken herunterhängen. So konnte sie der Reiter nicht gleich sehen, der bereits den Hof erreicht hatte, wo ein paar Hühner in der braunen Erde nach Körnern pickten.
Sie nickte kaum merklich, als Antoine Leprat sie vom Pferd herab grüßte.
»Ich würde gern mein Pferd tränken. Und ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn ich Ihnen ein Glas Wein abkaufen könnte.«
Sie schwieg und blickte ihn lange und prüfend an.
Er war schlecht rasiert, wirkte erschöpft, trug nachlässige, verdreckte Kleidung und sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Außerdem war er bewaffnet: In seinen Satteltaschen steckten Pistolen, und ein eigenartiges weißes Schwert hing an seiner Seite – der rechten wohlgemerkt, wie es bei einem Linkshänder üblich war. Sein nachtblaues Wams trug er halboffen über einem verschwitzten Hemd, ein Ärmel war auf der Höhe des Ellbogens zerrissen und ließ einen Verband sehen. Frisches Blut besudelte seine Hand und deutete darauf hin, dass sich die Wunde wieder geöffnet hatte.
»Wohin wollt Ihr?«, fragte sie ihn.
»Nach Paris.«
»Über diese Straßen hier werdet Ihr die Stadt nicht vor Mitternacht erreichen.«
»Ich weiß.«
Sie betrachtete ihn noch immer aufmerksam. »Ihr seid verletzt.«
»Ja.«
Nach dem Kampf gegen Malefiz und seine Schergen hatte Leprat nicht sofort bemerkt, dass er blutete. Im Eifer des Gefechts hatte er nicht einmal mitbekommen, welcher seiner Gegner ihm die Verletzung am Arm zugefügt hatte. Und auch den Schmerz hatte er nicht gleich gespürt. Der stellte sich erst ein, nachdem er das Rinnsal aus Blut entdeckt hatte, das ihm aus dem Ärmel über die Hand rann. Auch wenn die Wunde nicht besonders gefährlich zu sein schien, hätte sie doch vernünftig versorgt werden müssen. Doch er hatte sich damit begnügt, sie nur eilig zu bandagieren, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
»Ein unglückliches Zusammentreffen«, erklärte er.
»Wegelagerer?«
»Nein, Auftragsmörder.«
Bei diesen Worten zuckte die Frau nicht einmal mit der Wimper. »Verfolgt man Euch?«
»Ich wurde verfolgt, aber ob sie mir immer noch auf den Fersen sind, weiß ich nicht.«
Seit er den Gasthof verlassen hatte, war Leprat nur kleinen Straßen gefolgt, auf denen man zwar nicht allzu schnell vorankam, wo aber die Gefahr, in einen Hinterhalt zu geraten, viel geringer war. Er war allein unterwegs, und seine Verletzung machte ihn zu einer leichten Beute für gewöhnliche Straßenräuber. Aber auch die Befürchtung, so kurz vor Paris doch noch von denjenigen gestellt zu werden, die schon einmal ihre Männer auf ihn gehetzt hatten, beunruhigte ihn.
»Ich werde Ihre Wunde versorgen«, entschied die Frau und versuchte nun nicht mehr, die Waffe hinter ihrem Rücken zu verbergen. »Aber ich wünsche nicht, dass Ihr bleibt.«
»Ich bitte Euch um nichts anderes als einen Eimer Wasser für mein Pferd und ein Glas Wein für mich.«
»Ich versorge Eure Wunde«, wiederholte sie. »Ich kümmere mich darum, und dann verschwindet Ihr wieder. Also, tretet ein.«
Er folgte ihr in die Hütte, die aus einem niedrigen und düsteren Raum mit einem Boden aus gestampfter Erde und ein paar wenigen Möbelstücken bestand. Die Behausung wirkte ärmlich, aber sauber.
»Du kannst jetzt wieder herauskommen, Tonin«, rief die Frau.
Während der Junge unter dem Bett hervorkletterte und den Fremden schüchtern anlächelte, bereitete sie eine Schale Wasser und saubere Tücher vor. Doch auch jetzt hatte sie die Pistole griffbereit.
Leprat wartete, bis sie ihn einlud, sich hinzusetzen. Er nahm auf der einfachen Bank Platz. »Ich heiße Leprat«, sagte er.
»Geneviève Rolain.«
»Und ich bin
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