Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Auge lächelte er breit, denn Ballardieu zählte zu denen, die eine ordentliche Rauferei schätzten.
In der einen Hand schwenkte er eine Flasche Wein und in der anderen etwas, das aussah wie ein Holzkegel.
»Endlich?«, wunderte sich Agnès.
»Aber ja! Wir haben dich bereits erwartet!«
»Wir? Was heißt hier wir?«
»Diese Herren da und ich.«
Ungläubig betrachtete Agnès die Männer, auf die Ballardieu zeigte. Sie machten einen erbärmlichen Eindruck. Man hatte ihnen eine tüchtige Lektion erteilt.
Zwei der einst schmuck gekleideten Herren – offenkundig wohlhabende Kaufleute – lagen bewusstlos herum oder taten zumindest so. Einem anderen – dem Anschein nach ein Hausierer – war es auch nicht viel besser ergangen: Der Oberkörper und die Arme steckten komplett in einem großen Weidenkorb, durch dessen Boden der Kopf herausschaute und kraftlos herunterhing. Ein vierter schließlich lag zusammengerollt zu Füßen Ballardieus, und sein ängstliches Gebaren ließ darauf schließen, dass er jeden Moment mit einer weiteren Maulschelle rechnete.
Ihn kannte die Baronin zumindest vom Sehen: Es handelte sich um einen Veteran, der während der Religionskriege ein Bein verloren hatte und der nun seine Tage damit verbrachte, von Schänke zu Schänke zu humpeln.
»Die hast du ja ganz schön zugerichtet«, stellte Agnès fest.
Als sie das fehlende Holzbein des Kriegsveteranen bemerkte, begriff sie, dass es sich bei dem kegelförmigen Holzding, mit dem Ballardieu herumfuchtelte, um die Prothese des Bemitleidenswerten handelte.
»Er hat es nicht besser verdient.«
»Das wollen wir hoffen. Warum also habt ihr auf mich gewartet?«
»Mir lag daran, dass sich die hier anwesenden Herren bei dir entschuldigen.«
Agnès betrachtete den zitternden Einbeinigen, der sich schützend die Arme vor den Kopf hielt. »Entschuldigen? Wofür?«
Da wurde Ballardieu plötzlich sehr verlegen. Wie sollte er auch die Sachlage erklären, ohne die vulgären und beleidigenden Äußerungen zu wiederholen, die hier gefallen waren?
»Äh …«
»Ich höre.«
»Begnügen wir uns damit«, fuhr der alte Soldat fort und schwenkte das Holzbein in seiner Hand wie ein Zepter, »dass sich dieser Nichtsnutz hier bei dir entschuldigt. Also entschuldige dich gefälligst, Madame wartet!«
»Verehrteste,« stöhnte der Veteran, »bitte akzeptiert meine aufrichtige und ehrerbietige Entschuldigung. Ich habe es Euch gegenüber an Respekt fehlen lassen. Auch mein armseliges Wesen, meine schlechte Erziehung und meine jämmerlichen Gewohnheiten können das nicht entschuldigen. Ich gelobe Besserung, was mein Benehmen betrifft, und im vollen Bewusstsein meines schändlichen Verhaltens hoffe ich auf Ihre wohlwollende Güte. Ich möchte noch hinzufügen, dass ich hässlich bin, dass ich aus dem Maul stinke und
dass man bei meinem Anblick kaum glauben möchte, der Herr habe Adam nach seinem Ebenbilde geschaffen.«
Der Bedauernswerte hatte seinen Reueakt in einem Zuge heruntergebetet, wie einen auswendig gelernten Text, und seine Ausführungen waren von Ballardieu im Übrigen mit zustimmendem Kopfnicken und synchronen Lippenbewegungen begleitet worden.
Das Ergebnis schien ihn zufriedenzustellen. »Gut gemacht, du Nichtsnutz. Da hast du dein Bein wieder.«
»Danke, mein Herr.«
»Aber du hast vergessen, dein scheußliches Gesicht zu erwähnen, von …«
»… von dessen Anblick sogar die Milch sauer wird. Ich bin untröstlich, mein Herr. Soll ich noch einmal von vorn anfangen?«
»Ich weiß nicht. Deine Reue schien mir aufrichtig, aber …«
Ballardieu warf Agnès einen fragenden Blick zu.
Die sah ihn völlig perplex an. Ihr fehlten die Worte.
»Nein«, fuhr er fort. »Madame hat recht: Es ist genug. Strafe muss gerecht, aber nicht grausam sein, wenn sie etwas nützen soll.«
»Danke, Monsieur.«
Ballardieu erhob und streckte sich. Dann leerte er mit zwei großen Schlucken die Flasche, die er immer noch in der Hand hielt, und warf sie über die Schulter hinter sich. In hohem Bogen flog diese dem Hausierer auf den Schädel, der immer noch gefangen von seiner Weidenkraxe in der Ecke hockte.
»Nun gut«, rief Ballardieu fröhlich und rieb sich die Hände. »Gehen wir?«
Hinter seinem Rücken kippte der Hausierer kraftlos zur Seite, wie ein kaputter Henkelkorb.
22
Die Frau war von ihrem Sohn gerufen worden und trat auf die Schwelle der Hütte. Als sie sah, wer da angeritten kam, befahl sie ihrem Sohn, ihr etwas von drinnen zu holen. Er gehorchte
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