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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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ERMITTLUNGEN. Nur waren es eben diese Testamente und Treuhandangelegenheiten, von denen sie lebten. Mit privaten Nachforschungen war noch kein Schilling in die Kasse gekommen. Klimt hatte noch immer nicht seine Rechnung für ihre Dienste aus dem vorangegangenen Jahr beglichen. Und auch Fräulein Schindler schien alles andere als bereit, ihre Erbschaft anzugreifen, um für die Ermittlungen zu bezahlen. Zugegeben, es war Mahler, der Karl beauftragt hatte, aber sein Honorar würde kaum die anderen offenen Posten kompensieren können. Ihr Ehemann widmete all seine Kräfte diesem einen Fall und vernachlässigte andere Klienten.
    Nach Karls Rückkehr mussten sie diese Probleme ernsthaft diskutieren. Nach dem Besuch bei ihrem Arzt letzten Freitag hatten sich schließlich die Umstände geändert. Sie war nicht mehr nur von einer neuen Zielstrebigkeit erfüllt, sondern auch von einem weit drängenderen Verantwortungsgefühl. Ihr graute vor der bevorstehenden Auseinandersetzung mit Karl, da er in seiner neuen Rolle als Ermittler so auflebte. Aber sie beide waren finanziell nicht in der Lage, den Spürhund zu spielen.
    Karls Eltern konnten gewiss ihren einzigen lebenden Spross mit einer größeren Geldsumme unterstützen, aber sie hielten nicht viel von ihrer Verbindung. Woraus sie kein Geheimnis gemacht hatten; zum Beispiel waren sie demonstrativ Berthesund Werthens kleiner standesamtlicher Hochzeitszeremonie ferngeblieben. Seither war die Beziehung zu ihren Schwiegereltern deutlich kühl geblieben. Ihr eigener Vater gehörte der alten Schule an, die glaubte, dass Geld ohnehin den Charakter verdarb. Er war ein erfolgreicher Selfmademan und davon überzeugt, dass seine Tochter ihren eigenen Weg in der Welt finden müsste, wozu gehörte, nicht auf geldgierige Verehrer hereinzufallen, die sie für eine gute Partie hielten. Aus diesem Grund hatte er keine Mitgift für sie ausgesetzt.
    Ihre Lage war also recht offenkundig, jedenfalls die neue Situation, die ihr Doktor Franck offenbart hatte. Wenn Karl nur hier wäre! Sollte sie ihm vielleicht telegraphieren?
    Nein. Statt dessen atmete sie fünfmal tief durch – ihr einfaches Rezept für jede Art von Panik – und lehnte sich dann ruhig im Sessel zurück. Die Dinge würden sich schon regeln. Oh, wie sehr sie es sich wünschte!
     
    Werthen bedauerte allmählich, dass er den Fall übernommen hatte. Jetzt hockte er hier in der Villa Kerry wie ein Diener, der die Anordnungen seines Herrn erwartet, und nicht wie ein Anwalt oder ein Ermittler, der seiner Arbeit nachgeht. Es war zwar niemals ausdrücklich so formuliert, aber es wurde immer klarer, dass Mahler von ihm erwartete, alle Hürden und Hindernissen aus dem Weg zu räumen, die seiner Komposition im Wege standen. So saß Werthen vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag im Foyer auf einem harten Stuhl und wartete darauf, dass entweder Justine oder Natalie die Tür öffneten, damit er dann Autogrammjäger verscheuchte oder die Avancen vernarrter junger Frauen und Ersuchen konfuser Männer mittleren Alters abwehrte, die mit dem Maestro eine kleine Melodiedurchgehen wollten. Mittlerweile war auch klar, dass Mahler ebenfalls von ihm erwartete, dass er seine Schwester Justine und seine alte Freundin Natalie von ihm fernhielt. Diese Aufgabe erwies sich als die schwierigste, da beide spürten, dass Werthen ihrer beider Bedeutung in Mahlers Leben gefährdete. Sie warfen ihm an diesen langen und ermüdenden Tagen ständig böse Blicke zu. Wann immer Essen gereicht wurde, war Werthens Portion mit Sicherheit schon kalt.
    Doch gelegentlich hatte er das Gefühl, die Mühen könnte die Sache wohl wert sein, weil er Bruchstücke von Mahlers Werk hören konnte, wenn dieser auf dem Piano in seinem Zimmer im dritten Stock spielte, das er zum Musikzimmer bestimmt hatte. Mahler beherrschte das Klavier nur mäßig, und doch wurde Werthen von dem bewegt, was er aufschnappen konnte. Die Melodien waren einfach und gefühlsbetont, besaßen eine Art verfeinerte Erhabenheit. Und bei den Spaziergängen mit Mahler am Nachmittag, nachdem er die Kompositionsarbeit für den Tag beendet hatte, lernte Werthen noch andere Aspekte dieses Werkes zu schätzen. Anders als bei seinen früheren Sinfonien wollte Mahler in seiner Vierten Sinfonie keine Tuba oder Posaune einsetzen. Werthen konnte das sehr gut nachvollziehen, gab es doch viel zu viele Tuben und Posaunen in dem Blasorchester, dessen Spiel über den See von Altaussee herüberschallte. Es sollte auch die

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