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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Ausflüge«, meinte Justine.
    Werthen warf seine Mattigkeit ab und auch die Feindseligkeit Mahler gegenüber. Schließlich, sagte er sich, hatte der Mann ihn engagiert, und er hatte sein Wort gegeben, ihn zu bewachen. Irgendjemand hatte zuvor versucht, Mahler zu töten, und würde es höchstwahrscheinlich wieder versuchen. Also würde er, Werthen, seine Pflicht peinlich genau erfüllen, so lange er sich in der Villa Kerry aufhielt. Natürlich waren Justine und ihre Freundin Natalie fähige und fürsorgliche Aufpasser, als Leibwächter jedoch waren sie überfordert. Vielleicht hatte er das Bild von Mahlers häuslicher Sicherheit nur deshalb beschworen, um seine Abreise vor sich selbst zu rechtfertigen.
    Werthen würde nach Wien zurückkehren, seine Frau umarmen und ihr sagen, wie sehr er sie liebe. Dann würde er sichdas Testament nehmen und auf seinen Wachposten zurückeilen. Er konnte es sich nicht leisten, unachtsam zu werden.
    »Sie wirken ein wenig gedankenverloren, Advokat Werthen«, sagte Justine.
    »Ich bin keineswegs verloren«, erwiderte er. »Ich kenne meinen Weg.«

7. KAPITEL
    In der Hofburg, gegenüber der Reichskanzlei, residierte der Kaiser, und hier befanden sich auch die Büroräume von Alfred, dem Prinzen von Montenuovo. Gross war tief bewegt, ein Schauer lief über seinen Rücken, als er in diesen gewaltigen Hallen stand. Die großen Fenster reichten vom Boden bis zur Decke, und sein Blick fiel auf den Adler, das Wappenzeichen der Habsburger, das in die feinen Spitzenvorhänge gestickt war. Die letzte Ermittlung, die er mit Werthen durchgeführt hatte, hatte sie bereits an eben diese Türen gebracht, und Gross war nicht allzu erfreut, diesem Sitz der Macht ein weiteres Mal so nahe zu kommen.
    Montenuovo, ein Enkel der Kaiserin Marie-Louise, der zweiten Frau Napoleon Bonapartes, bekleidete offiziell das Amt eines Stellvertreters von Prinz Rudolf von Liechtenstein, dem Oberhofmeister. Für von Liechtenstein aber waren Pferde von sehr viel größerem Interesse als etwa Opernsänger, und so lastete die Verantwortung für die Verwaltung der Hofoper letztendlich auf den schmalen Schultern seines Assistenten Prinz Montenuovo.
    Hinter Gross öffnete sich plötzlich eine von Buchregalen verborgene Geheimtür, und Montenuovo inszenierte seinen etwas dramatischen Auftritt. Er war im quasi-militärischen Stil seines Amtes gekleidet, mit blauer Uniformjacke und einem Schwert am Gürtel. Eine breite rote Schärpe führte von seinerrechten Schulter und diagonal über Brust und Bauch zur linken Hüfte.
    Montenuovo war ein kleiner Mann mit enormer Macht; aufgewachsen in unmittelbarer Nähe der gekrönten Häupter. Er besaß ein nahezu natürlich hoheitsvolles Auftreten und war bekannt für seine entschlossene Hartnäckigkeit und seine Loyalität den Traditionen des Hauses Habsburg gegenüber. Es wurde allgemein spekuliert, dass im Falle des Rücktritts oder des Todes von Liechtensteins Montenuovo der neue Oberhofmeister werden würde. Dann oblag es seiner Befugnis, den Zutritt zum Kaiser zu gewähren oder zu verweigern, und er hätte für die jungen Habsburger zu entscheiden, in welche Familien eingeheiratet werden durfte. Aber auch der Erhalt der kaiserlichen Bibliotheken und Museen und alle anderen Entscheidungen, die den kaiserlich-königlichen Haushalt betrafen, einschließlich der Hofoper, würden dann in seinen Machtbereich fallen.
    Das Gespräch mit Kraus hatte sich als sinnvoll erwiesen. Nach dessen Informationen zählte dieser winzige Zirkusdirektor zu den entschiedenen Unterstützern Mahlers. Und Kraus zufolge glaubte der Prinz nicht allein an Mahlers Genius, sondern war auch von dessen angeborener Ehrlichkeit und seinem untadeligen Charakter überzeugt. Schon mehrfach hatte sich Mahler über den Kopf des stellvertretenden Intendanten Leitner hinweg in Personal- und Finanzangelegenheiten direkt an den Prinzen gewandt.
    Gross hatte sich entschlossen, Montenuovo aufzusuchen, um für ihre Ermittlungen so etwas wie eine Legitimierung zu erhalten. Er dachte, es sei an der Zeit, den Prinzen über seine eigenen und Werthens Anstrengungen zum Schutze Mahlers zu informieren.
    Gross erhob sich, als Montenuovo zu seinem Schreibtisch aus Rosenholz schritt.
    »Bitte, Dr. Gross. Behalten Sie Platz. Es ist ja keine königliche Hoheit im Raum.«
    Die Stimme war für einen kleinen Mann erstaunlich tief. Sein graues Haar und sein Bart waren kurz geschnitten und unterstrichen sein würdevolles Aussehen. Er setzte sich

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