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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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beste Schulfreundin der Mutter des Herausgebers gewesen – und konnte deshalb über sein Kommen und Gehen selbst bestimmen.
    Der Redakteur, ein gewisser Herr Pfingsten, hatte einen kugelrunden Kopf, in den die dunklen Augen wie die Knopfaugen einer Vogelscheuche einfach hineingesteckt zu sein schienen. Sie wirkten fast schwarz. Ein Bartflaum bedeckte seine Oberlippe, und sein pomadiertes Haar trug er nach vorn gekämmt,was ihm Ähnlichkeit mit einem altrömischen Senator verlieh.
    »Er hat ausgezeichnete Kontakte«, fügte Pfingsten ironisch hinzu. »Zu meiner Zeit ging man in eine Aufführung, hörte sehr genau zu, machte sich Notizen und schrieb dann einen Artikel für die Ausgabe des folgenden Tages. Heute geht es immer nur um Kontakte, um ›Insider‹-Informationen. Damit ist der Klatsch an der Hofoper gemeint. Ich frage Sie, berichten wir hier eigentlich noch über Musik oder über Militärspionage?«
    Werthen konnte dem graugesichtigen Herrn Pfingsten diese Frage nicht beantworten und verließ die Redaktion. Also würde er den Nachmittag wohl doch in seinem eigenen Büro verbringen.
    Herr Tor war unterwegs nach Altaussee, Berthe besuchte vermutlich Viktor Adler, und so erwartete Werthen, ungestört seine Büroarbeit erledigen zu können. Als er den Eingang der Kanzlei in der Habsburgergasse erreichte, sah Werthen, dass die Haustür offen stand. Mehrfach schon hatte er sich bei der Pförtnerin, Frau Ignatz, einer älteren Frau mit einer Vorliebe für Katzen, deswegen beschwert. Einer der Mieter aus einem der oberen Stockwerke versäumte ständig, die Tür zur Straße ganz zu schließen. Das war wirklich ein Ärgernis, denn so konnte jedermann einfach ins Haus spazieren.
    Frau Ignatz war nicht in ihrer Pförtnerloge, daher verschob Werthen seine Beschwerde auf später. Er ging hinauf in sein Büro im zweiten Stock und dachte für einen Moment, er habe einen Schatten hinter der Milchglasscheibe der Tür gesehen. Aber das war ja unmöglich.
    Andererseits hatte sich Berthe vielleicht entschieden, doch im Büro auszuhelfen. Bei dem Gedanken, dass sie vielleichtihre eigenen Ermittlungen aufgegeben hatte, um ihm im Büro zu helfen, empfand er ein Gefühl von Stolz. Und das trotz ihres Zustands.
    Die Tür war verschlossen, aber das musste nicht heißen, dass sie nicht da war. Es war schließlich Mittagszeit, und die Kanzlei war offiziell von zwölf bis zwei geschlossen.
    Er steckte seinen Schlüssel ins Schloss, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür.
    »Berthe«, rief er, da der Empfangstisch nicht besetzt war. »Bist du da?«
    Niemand antwortete, was Werthen enttäuschte. Also blieb ihm nur, sich allein an die Arbeit zu machen.
    Doch als er sein Büro betrat, erschrak er. Sämtliche Schreibtischschubladen waren herausgezogen, und Dokumente und Papiere lagen überall am Boden verstreut. Er spürte eine Bewegung hinter sich, aber noch bevor er reagieren konnte, zuckte ein scharfer Schmerz durch seinen Hinterkopf. Seine Knie gaben nach, und er fiel ohnmächtig zu Boden.
     
    »Mein Gott, Werthen, sie könnten tot sein!« Gross betupfte die Wunde am Hinterkopf mit einem feuchten Tuch. »Das muss womöglich genäht werden.«
    In Werthens Kopf schien jemand eine Trommel zu schlagen. Er stemmte sich auf seinen Ellbogen und konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit der anderen Hand nach der Wunde zu tasten. Es fühlte sich feucht und warm an. Als er die Hand vor die Augen hob, sah er Blut, aber nicht sehr viel.
    »Jemand hat hier eingebrochen«, meinte er.
    »Ganz offensichtlich«, stimmte Gross ihm zu.
    »Wie lange war ich bewusstlos?«
    »Ich bin Kriminologe, kein Mediziner, Werthen. Wann sind Sie denn hier angekommen?«
    »Kurz nach eins.«
    Gross blinzelte nach der Uhr an der Wand hinter ihnen.
    »Dann ist das vor etwa einer halben Stunde passiert. Da die Aufwartefrauen von Brahms und Bruckner für einen Monat aufs Land gefahren sind, hatte ich beschlossen, mich hier mit Ihnen zu treffen.«
    Gross betrachtete prüfend das Durcheinander im Büro.
    »Haben Sie den Angreifer gesehen?«
    »Nein, dazu blieb keine Zeit.«
    »Wonach könnte er gesucht haben?«
    »Denken Sie, es könnte unser Mann gewesen sein?« Werthen hatte sich nun aufgesetzt, und obwohl ihm schwindlig war, war seine Verletzung nicht wirklich schlimm. Offenbar hatte er nicht einmal eine Gehirnerschütterung, also brauchte er nicht ins Krankenhaus. Denn das war wirklich der letzte Ort, an dem er heute sein wollte.
    »Ich sehe keine andere mögliche

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