Wiener Requiem
hätte sie schon längst sein müssen. Ja, und ich habe ihr eine kräftigende Hühnerbrühe serviert. Wir werden alle in Zukunft etwas einfacher essen, jetzt, wo ich von ihrem Zustand weiß.«
»Geht es ihr gut?«
»Aber sicher. Aber sie geht doch mit einem Kind.« Wieder strahlte sie über das ganze Gesicht. »Daran müssen wir nun alle denken.«
»Ist das so zu verstehen, dass es hier keinen Zwiebelrostbraten mehr geben wird?«, erkundigte sich Gross bestürzt.
»Und auch keinen Bauernschmaus, keinen Palatschinken oder sonst eine üppige Speise, die den Magen der Dame belasten könnte«, erklärte Frau Blatschky entschieden.
Gross wirkte ziemlich bekümmert.
»Und der Kaffee am Morgen?«
»Ein Kräutertee muss genügen«, antwortete sie streng. »Aber wo sind Sie den hineingeraten, Herr Advokat? Da ist ja Blut an Ihrem Kragen!«
12. KAPITEL
Achtundvierzig Stunden später fühlte sich Werthen wieder wie ein Mensch. Den restlichen Mittwoch und den gesamten Donnerstag verbrachte er mit Berthe im Bett. Frau Blatschky umsorgte sie beide und sah sie jetzt noch nicht einmal mehr schräg von der Seite an, weil sie sich ein gemeinsames Bett teilten. Es ging soweit, dass er schließlich keine Hühnersuppe mehr sehen konnte.
Ein positiver Effekt von Berthes morgendlicher Übelkeit jedoch war eine gewissen Annäherung der beiden Frauen des Hauses. Frau Blatschky sah jetzt in Berthe offenkundig keinen ungebetenen Gast mehr, eine moderne Frau ohne jeden Sinn für Häuslichkeit, oder anders formuliert: eine Bedrohung ihrer eigenen Position im Haushalt.
Jetzt schien es fast, als hätte Frau Blatschky, die Witwe eines Marineoffiziers, der eine Woche nach ihrer Hochzeit gefallen war, in Berthe die Tochter gefunden, die sie selbst nie hatte haben können. Und Werthen hütete sich, auch nur ein einziges Wort zu sagen, das diese wunderbare neue Harmonie stören könnte.
Es war Frau Blatschkys klugem Rat zuzuschreiben, dass Werthen schließlich Berthe von dem Überfall auf ihn erzählt hatte. Zuerst war er abgeneigt gewesen, weil er seine Frau nicht damit belasten oder sie aufregen wollte, vor allem in dieser Phase ihrer Schwangerschaft. Frau Blatschky hatte ihm jedochklargemacht, dass er seine Frau nicht belügen dürfte. Außerdem hatte Werthen erst kürzlich den Fehler begangen, seiner Eltern wegen nicht ehrlich zu ihr zu sein; dieser Vorfall war ihm nur zu gut in Erinnerung geblieben. Er hatte ein völlig unnötiges Zerwürfnis zwischen ihnen ausgelöst.
Tatsächlich nahm Berthe die Nachricht von dem Überfall auf das Büro recht gefasst auf. Sein Hinterkopf sei ohnehin etwas zu groß gewesen, bemerkte sie lakonisch.
Gross und er hatten in den vergangenen zwei Tagen genügend Zeit gehabt, um über den Anschlag nachzudenken. Wer kam als Täter in Frage, und welches waren seine Motive? Sie kamen zu keiner plausiblen Erklärung. War es vielleicht nur eine Botschaft gewesen? Eine Warnung? Aus den Akten in Werthens Büro oder auch aus den Unterlagen zu Hause konnte man kaum etwas über den Stand der Ermittlungen in Erfahrung bringen.
Sollte es eine Warnung gewesen sein, war sie völlig wirkungslos. Werthen war jetzt entschlossener denn je, diesem Fall auf den Grund zu gehen.
Am Donnerstagnachmittag, nachdem Gross einige Erkundigungen eingezogen hatte, war Berthe aufgestanden, um einen kleinen Nachmittagsspaziergang zu unternehmen. Deshalb hatte Werthen Gelegenheit, sich ausführlich mit dem Kriminologen im Schlafzimmer zu beraten, denn er musste immer noch Bettruhe halten.
Trotz Gross’ Nachfragen hatte sich Frau Ignatz nicht an einen Fremden an diesem Mittwoch im Haus erinnern können. Zudem war sie ja unterwegs gewesen, als Werthen das Gebäude betreten hatte.
»Sie ist eine wirklich höchst impertinente Frau«, fügte Gross hinzu, ersparte sich aber weitere Erklärungen.
Gross’ Interesse jedoch erregte die Tatsache, dass die Haustür des Gebäudes zur Habsburgergasse an jenem Tag geöffnet, die Tür zu Werthens Büro dagegen verschlossen gewesen war.
»Dies könnte auf einen Täter aus dem Haus hinweisen«, sagte Gross.
Werthen tat diese Vermutung ab. »Der Einzige, der in der Kanzlei hätte sein können, war Tor. Und der war bekanntlich in Altaussee.«
Gross nickte, schürzte dann aber die Lippen und begann, von Federn, Stiftschlüsseln, Eckhebeln und allem möglichen Zubehör des
Gewerbes für den freien Einbruch
zu erzählen.
»Jeder Vertreter dieses Gewerbes ist in der Lage, ein Schloss wie das Ihre
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