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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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voll. Währenddessen schob sie sich immer wieder eine Beere in den Mund und ließ sie mit leichtem Druck der Zunge am Gaumen zerplatzen. Als sie fertig war, begann sie, die Staude etwas zurückzuschneiden und die Äste hochzubinden. So hoffte sie, bis in den Herbst hinein frische Brombeeren ernten zu können.
    In der Dämmerung ging sie ins Haus. Ihr Blick streifte müde die zahlreichen Bildbände, die sie zur Bestimmung der Ikone und des Brustkreuzes aus ihren Regalen gezogen hatte. Sie blätterte im Stehen in einem großformatigen Buch über Ikonen. Die Figuren wirkten zerdehnt. Manchmal war eine Stirn im Vergleich zum Rest der Darstellung zu hoch oder eine Hand zu lang. Der Erlöser wies mit spitzen Fingern in die Sonne, die wie eine Scheibe am Himmel hing. Im Hintergrund starrte ihn ein Jünger an. Ihr fehlte im Moment der Zugang zu diesen Bildern. Sie stieg in den ersten Stock und ließ sich ein Bad ein. Das heiße Wasser brannte auf ihren von der Sonne geröteten Schultern.
    Sie hoffte, heute Nacht endlich einmal durchschlafen zu können, auch im Hinblick auf ihre morgige Wanderung. Als sie überlegte, welche Schritte im Falle des ermordeten Andrzej als Nächstes zu tun wären, bemerkte sie bald, dass sie im Trüben fischte. Eine Sackgasse tat sich auf, und mit Sackgassen konnte Rosa nicht gut umgehen. Sie stieg schnell aus der Wanne und ließ den Abend, faul auf ihrem Sofa lümmelnd, vor dem Fernseher ausklingen.
    * * *
    Sterben hatte er sich immer anders vorgestellt. Er hatte vielen Menschen in ihren letzten Stunden beigestanden; er hatte sie kämpfen oder einfach nur aufgeben sehen. Jedes Mal hatte er es als bedeutend empfunden, da zu sein. Mit seinem eigenen Tod hatte er sich nie beschäftigt, da er der Ansicht gewesen war, ohnehin noch genügend Zeit zu haben.
    So kann man sich irren, dachte er jetzt.
    Der Rauch stieg ihm beißend in die Augen, er konnte sich nicht mehr bewegen und begann zu husten. Interessanterweise hatte er überhaupt keine Angst.
    »Meine Bücher«, war das Letzte, was er dachte.
    * * *
    Von der kleinen, geduckten Pfarre standen nur noch ein paar rauchende Trümmer. Liebhart hatte Rosa angerufen, als sie gerade ihren Morgenkaffee trank. Nun stand sie vor dem abgebrannten Haus, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Es tat ihr leid um Pfarrer Mullner, von dem man nur noch die Leiche bergen konnte.
    Liebhart hatte sofort ein eigenes Brandteam aus Wien angefordert, damit die Leute aus dem Kahlenbergerdorf keine Spuren beseitigen konnten. Trotz allem war natürlich die Feuerwehr aus dem Ort zuerst am Schauplatz gewesen, um zu löschen. Die Leiche war schon zu Dr. Ahran nach Wien unterwegs. In der Luft hing der beißende Geruch des Feuers, das glücklicherweise gelöscht worden war, bevor es auf die alte Kirche hatte übergreifen können. Rosa sah den Tisch, an dem sie mit Liebhart während ihres Gespräches mit Pfarrer Mullner gesessen und Kirschlikör getrunken hatte und der nun halb verkohlt und mit nur noch drei Beinen in einer Ecke lag. Die meisten Bücher waren verbrannt, nur noch einzelne Exemplare lagen wie Vögel, die vom Himmel gefallen waren, offen und mit dem Buchrücken nach oben vom Löschwasser durchtränkt auf der Erde.
    Der Brand war in der Nacht gegen elf Uhr ausgebrochen. Robert, den Rosa bei ihrem Heurigenbesuch vor ein paar Tagen kennengelernt hatte, stand mit in den Nacken geschobener Schirmmütze beim Eingangstor der Kirche und unterhielt sich mit ein paar Einheimischen, die alle betroffen auf ihre Schuhe starrten. Zwei Beamte versuchten, Informationen von ihnen zu bekommen, doch die Leute krochen nur tiefer in ihre Jacken und verschlossen ihre Gesichter.
    Rosa konnte sich nicht aufraffen, die Trümmer näher zu untersuchen. Zum einen, weil dort das Brandteam aus Wien arbeitete, zum anderen, weil sie dummerweise Sandalen anhatte und die Gefahr, sich zu verletzen, ziemlich hoch war. So sah sie eine halbe Stunde zu, wie Beweise gesichert wurden, drehte sich dann um und ging einmal um die Kirche. Ihr Blick fiel auf den abgegangenen Hang, den sie in einiger Entfernung sehen konnte.
    Sie dachte an die vier Menschen, die in den letzten Tagen und Wochen getötet worden waren. Wie die Morde zusammenhingen, konnten sie noch immer nicht sagen. Alles, was sie bis jetzt wussten, war vage. Sie sah zu der Gruppe der Ortsansässigen, deren Körperhaltung die reine Abwehr signalisierte.
    Rosa wartete auf einen Gedanken, eine entscheidende Idee, die alle Rätsel wie eine Reihe

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