Wienerherz - Kriminalroman
drohten zu platzen. Die Beamtin hatte die Kämpfenden erreicht, rammte sie zu Boden. Während die Secur-Frau auf dem Gehsteig weiter mit ihrem Widersacher rang, röhrte der Motor des Lieferwagens auf, das Auto machte einen Satz und raste los. Die Beamtin sprang in die noch offene Schiebetür und klammerte sich fest.
Vor Anstrengung sah Freund alles nur mehr verschwommen. Die Secur-Frau hatte mittlerweile die Oberhand über ihren Angreifer gewonnen. Freund hastete an ihr vorbei, spürte aber, wie ihn die Kräfte verließen. Der Lieferwagen gewann Abstand, aus dem Inneren trat ein Fuß mehrmals gegen die Beamtin, die sich immer noch festklammerte. Dann schaffte auch sie es hinein. Der Wagen bog um die Ecke und war verschwunden. Freund lief, was seine Kräfte hergaben, doch das war nicht mehr viel. Als auch er die nächste Gasse erreicht hatte, war das Auto schon fast bei der Wienzeile, einer großen Ausfallstraße, wo man entweder schnell weiterkam oder im Stau stecken bleiben konnte.
Freund hörte seinen Atem wie das Schnaufen einer Dampflok, da flog aus der offenen Schiebetür ein Körper und kollerte über die Fahrbahn. Gleich darauf hörte Freund zwei Schüsse. Der Wagen wurde langsamer, hielt. Freund rang nach Atem, konnte nicht mehr. Auf der Fahrbahn lag ein Vermummter, bewegungslos. Freund stolperte weiter.
Der Wagen war mittlerweile zum Stehen gekommen. Als Freund ihn endlich erreichte, sprangen gerade die beiden Kinder aus dem Laderaum.
»Papa!«
Er schloss Clara in die Arme und Marlies gleich dazu. Himmel, so war das nicht geplant gewesen!
Im Auto sah er die Beamtin, die ihre Waffe durch ein kleines Schiebefenster in die Fahrerkabine auf den Kopf des Fahrers richtete.
Noch immer völlig außer Atem, ließ er die Kinder los.
»Bleibt hier. Ich bin sofort wieder da.«
Er wankte zur Fahrertür und half der Polizistin, den Fahrer festzunehmen und vorerst mit Handschellen an das Lenkrad zu fesseln.
»Dahinten liegt noch einer«, sagte er zu ihr.
Die Mädchen zitterten am ganzen Körper. Freund redete beruhigend auf sie ein, obwohl er nach seinem Sprint noch immer kaum Luft in seine Lungen bekam. Langsam wurde ihm bewusst, was geschehen war. Zum Glück hatte die Personenschützerin ihren Job gut gemacht. Beschämt musste Freund sich eingestehen, dass seine körperliche Verfassung nicht ausgereicht hätte, um seine Tochter zu beschützen.
Fünfzehn Minuten später drängte sich ein Großaufgebot in der Gasse. Der Fahrer und der erste Vermummte, den die Secur-Mitarbeiterin überwältigt hatte, standen mit Handschellen fixiert an den Wagen gelehnt. Um den Dritten kümmerten sich Sanitäter. Er war bei dem Sturz aus dem Wagen verletzt worden und immer noch bewusstlos.
»Alles in Ordnung?«
Spazier und Petzold standen hinter Freund und den Mädchen.
»Ich bringe sie nach Hause«, sagte Freund.
»Eines wollte ich dir noch zeigen«, sagte Spazier. Er zog sein Smartphone hervor.
Auf dem Monitor hatte Spazier eines der Phantombilder aufgerufen, die nach Marie Liebars Schilderungen angefertigt worden waren. Er hielt es so, dass Freund daneben die Verhafteten sehen konnte, die noch gegen den Wagen lehnten.
»Ziemlich ähnlich, findest du nicht?«
Mit einer Fingerbewegung rief er noch eines auf.
»Und das Gesicht habe ich da drüben gesehen, wenn auch etwas zerschunden.«
»Ihr kümmert euch um Flada und Bakunowitsch?«
»Natürlich.«
»Haltet mich auf dem Laufenden.«
»Machen wir. Kümmer dich um die Kleinen.«
Den restlichen Nachmittag blieb Freund zu Hause bei Clara. Bernd war auch da und spielte rührend mit seiner Schwester. Freund hatte eine Psychologin für seine Tochter angefordert. Sie saß mit Clara und Marlies im Wohnzimmer und unterhielt sich mit ihnen.
Claudia und Manuela Korn waren nach seinem Anruf sofort gekommen. Er schilderte ihnen, was geschehen war. Nachdem er fertig war, sah Claudia ihn lange schweigend an.
»Neulich fragte ich dich noch, was du tun würdest, wenn man deine Tochter bedrohen würde.«
Er nickte nur nachdenklich.
»Wir haben unglaubliches Glück gehabt«, sagte Claudia.
Kein Wort des Vorwurfs kam von ihr. Er umarmte sie.
»Danke«, sagte Manuela Korn.
»Ihre Tochter wird darüber hinwegkommen«, sagte Freund. »Kinder sind hart im Nehmen.«
»Die beiden sowieso«, erwiderte Korn.
In seiner Hosentasche spielte Keith Jarrett.
Canella.
Er zögerte, dann nahm er das Gespräch an.
»Ich habe etwas entdeckt, das du sehen möchtest.«
Freund schaute kurz zu
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