Wienerherz - Kriminalroman
aufnahm. Als ich es nachher doch versuchte, strich er es einfach wieder heraus. Laut Ihrem Großvater trug sich Folgendes zu: In den frühen zwanziger Jahren arbeitete im Palais der Dorins ein Mann, der später Polizist wurde. Er hatte Cornelius noch während seines Studiums gekannt. Danach hatte er keinen Kontakt mehr und wusste nichts vom Zwist im Haus Dorin und von der Entwicklung von Cornelius. Er sah ihn erst im Februar 1934 wieder. In Wien und einigen ostösterreichischen Städten startete der Schutzbund einen Aufstand gegen die Diktatur, der von Polizei, Bundesheer und den christlichsozialen Heimwehren blutig niedergeschlagen wurde. Unser Mann kam in Wien beim Reumannhof zum Einsatz. Nach drei Tagen war alles vorbei, und Hunderte Menschen waren gestorben.
Sie kennen die Schwarz-Weiß-Bilder der Opfer, die man nebeneinander in Reihen gelegt hatte. In einer davon entdeckte der Polizist Cornelius Dorin. Dieser hatte im Reumannhof an der Seite der Schutzbundkräfte gekämpft und war dabei erschossen worden. Der Polizist informierte die Dorins. Sie ließen die Leiche abholen und begraben. Dank der guten Verbindungen der Familie ging das Ganze ohne großes Aufsehen oder Vermerke in irgendwelchen Akten über die Bühne. Der Polizist erhielt ein großzügiges Schweigegeld. Der offizielle Sprachgebrauch in der Familie war ab sofort ›Autounfall‹. Niemand sollte wissen, dass ein Mitglied der angesehenen Familie auf der ›falschen‹ Seite gestanden war und sogar gekämpft hatte.«
In Freunds Kopf fügten sich die Teile zusammen. Nur einen Beleg brauchte er noch.
»Fand man bei dem Toten keine Papiere auf den neuen Namen?«
»Davon weiß ich nichts. Entweder hat es mir Herr Dorin verschwiegen, oder es gab tatsächlich keine.«
Hände ins Feuer
Als sie die Bibliothek verließen, lief in der Halle zu Freunds Überraschung Leopold Dorin auf und ab, das Mobiltelefon am Ohr. Er sprach leise, aber erregt, wie Freund ihn noch nie erlebt hatte. Als sie näher kamen, stieg er langsam die Prunktreppe hoch, sodass sie das Gespräch nicht mithören konnten.
Freund hatte Tann-Dorin gerade die Hand geschüttelt, da rief der Bruder von oben: »Herr Chefinspektor! Noch auf ein Wort.«
Mit eiligen Schritten kam er die Stufen herab. Seine Anspannung konnte er nicht verbergen.
»Das war heute bereits der zweite Anruf in dieser Sache, diesmal von der Austria Presse Agentur.«
»Welcher Sache?«
»Der Journalist gab an, dass er Informationen hätte, wonach mein Bruder Schulden in Höhe von mehreren hundert Millionen hat. Dabei soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Als ob das nicht schlimm genug wäre, behauptet er, dass auch unser Konzern und die Bank verwickelt seien! Abgesehen davon, dass das eine Lüge ist, frage ich mich, woher er diese Informationen hat!«
Leopold Dorin war während seiner Tirade immer lauter geworden. Freund erinnerte sich an das vertrauliche Gespräch vor zwei Wochen in dem gealterten Studentenlokal. Vor genau diesem Szenario hatte sich Dorin gefürchtet.
»Wenn Sie andeuten wollen, dass diese Informationen von uns kommen – für mein Team lege ich beide Hände ins Feuer. Warum sollten wir so etwas tun?«
»Warum, warum! Mir fallen schon Gründe ein!«
»Vorsicht, Herr Dorin. Allerdings sind mittlerweile zu viele Personen mit den Ermittlungen um die Geschäfte Ihres Bruders beschäftigt. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft untersucht ein Projekt, zu dem zwei Journalisten recherchierten, die vor ein paar Tagen fast umgebracht wurden, vielleicht haben Sie davon gelesen.«
»Natürlich habe ich davon gehört.«
»Ein Leck bei den Korruptionsbehörden kann ich nicht ausschließen. Vielleicht haben aber auch die Journalisten – oder Kollegen von ihnen – selbstständig noch mehr herausgefunden. Können Sie außerdem wirklich hundertprozentig ausschließen, dass Ihr Bruder die Bank nicht doch eingesetzt hat? Vielleicht hat er darin ja einen Vertrauensmann?«
»Ich halte das für unmöglich.«
»Aber sicher sind Sie nicht. Abgesehen davon gibt es natürlich noch eine andere mögliche Quelle, nämlich die Gläubiger Ihres Bruders. Oleg Kurbajew hat vermutlich versucht, Ihre Ex-Schwägerinnen zu erpressen. Vielleicht ist das nun seine Art, sich dafür zu revanchieren, dass sie ihm das Geld nicht geben will. Womöglich vermutet er dahinter Sie und will Sie unter Druck setzen.«
Dorin hatte ihm mit vorgeschobenem Kinn zugehört. Er fixierte Freund, wog die Argumente ab.
»Er hat doch nichts
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