Wienerherz - Kriminalroman
aus.
Im Blitzlicht der Kamera erkannte sie einen notdürftig reparierten hinteren Kotflügel und den schlechten Gesamtzustand des Fahrzeugs. Unter den Scheibenwischern wucherten Bündel von Strafmandaten wegen Parkens ohne Kurzparkschein oder Parkpickerl. Sie umrundete den Wagen einmal, überprüfte das Kennzeichen. Dann zückte sie ihr Handy und rief Chefinspektor Freund an.
»Entschuldige die späte Störung nach dem heutigen Tag. Aber du wirst nicht glauben, was die Kollegen gerade gefunden haben. Und wo.«
Bastionen
Für ihren Besuch bei den Dorins hatten sich die Komeskas fein gemacht. Hildegard Komeska trug ein schwarzes Kleid, Rudolf Komeska einen Anzug, der ihm vor fünf Jahren wahrscheinlich noch besser gepasst hatte. Freund fand alte Leute, die sich herausputzten, immer rührend. Dabei verdrängte er, dass er in wenigen Jahren selbst dazugehören würde. An ihrer Seite stand ihre Tochter Ines.
»Wir möchten gern, dass sie mitkommt«, erklärte Rudolf Komeska.
Freund hätte das Treffen nicht arrangieren oder die Komeskas begleiten müssen, aber es war ihm ein Anliegen. In diesem Fall war einiges schiefgelaufen. Die falsche Identifizierung des Toten hätte ihnen nicht passieren dürfen. Freund hatte das nicht so erzählt, wie er den Komeskas über die bisherigen Erkenntnisse generell wenig mitgeteilt hatte. Er wollte niemanden in Verdacht bringen oder mit falschen Vermutungen plagen. Die Komeskas wussten lediglich, dass auch Florian Dorin vermisst wurde.
Während der Fahrt redeten sie nicht viel. Vor dem Palais merkte Freund, wie unwohl sich die Komeskas fühlten.
In der Eingangshalle warteten die Eltern und Söhne Dorin. Zum ersten Mal dachte Freund darüber nach, dass Leopolds Frau Do nie an den Familienterminen teilnahm.
An den kurzen, trotzdem nicht unauffälligen Blicken der Komeskas durch die Halle spürte Freund, wie verloren sich die drei darin fühlten. Würde wahrscheinlich jeder, dachte Freund, der nicht so wohnte. Und vielleicht taten es sogar die, die so wohnten.
Die Dorins begrüßten ihre Gäste mit der Bekundung ihres Beileids.
Gemeinsam stiegen sie die Treppen hoch in den Trakt, den Freund schon kannte. Sein Part war damit erledigt. Beim Gespräch der Familien über die Modalitäten der Exhumierung und Wiederbestattung Emil Komeskas musste er nicht dabei sein. Er verabschiedete sich vor der Tür des Salons.
Oskar begleitete ihn zum Ausgang.
Dort warteten bereits Canella und zwei seiner Leute ganz in Weiß.
Freund stellte sie dem verdutzten Bediensteten vor und präsentierte ihm den Durchsuchungsbefehl.
»Führen Sie die Herren bitte zur Garage«, forderte Freund ihn auf. »Und – lassen Sie den Herrn des Hauses seine Gespräche zu Ende führen, ohne ihn über unsere Anwesenheit zu informieren. Das werde ich übernehmen. Wenn es so weit ist, bringen Sie bitte alle Herrschaften, inklusive der Gäste, in die Bibliothek.«
Verunsichert hörte ihm der Angestellte zu, widersprach aber nicht. Zu Canella sagte er nur: »Folgen Sie mir, bitte.«
Freund nützte die verbleibende Zeit für eine Erkundungstour durch den Dorin’schen Bücherschatz. Er hatte sich gerade in Bertrand Russells »Moral und Politik« eingelesen, als eine Tür knarrte und die ganze Gruppe eintrat. Über die Wendeltreppen stieg sie zu Freund herab, der ihnen entgegenkam. Bei den Schubladen, in denen Cornelius Dorins Briefe lagerten, wartete er.
»Konnten Sie alles klären?«
»Ja«, erwiderte Leopold Dorin knapp.
»Sie werden noch mehr zu besprechen haben.«
Freund öffnete die Brieflade, hob das schützende Seidenpapier vom obersten Schriftstück. Leopold Dorin setzte zum Sprechen an, Freund brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
»Das sind Briefe von Cornelius Dorin«, erklärte er, »Bruder von Adalbert Dorins Vater. Und das«, sagte er und legte das Schreiben, das er hinter seinem Rücken verborgen gehalten hatte, daneben, »ist der Abschiedsbrief von Rudolf Komeskas Vater. Für uns vielleicht nicht sofort erkenntlich, für einen Schriftexperten fast hundertprozentig sicher« – wobei er auch noch das Gutachten zu den Briefen platzierte – »stammen diese Briefe von ein und derselben Person.«
Niemand sagte etwas, bis Adalbert Dorin herausplatzte: »Wollen Sie damit sagen, dass Rudolf Komeska der Sohn meines Onkels Cornelius ist? Das ist absurd!«
Zum ersten Mal sah Freund das Raubtier geduckt, die Zähne gefletscht, die Ohren nach hinten angelegt. Dem alten Dorin gefiel die Vorstellung, neue
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