Wigges Tauschrausch
Tauziehen kann man mit der Seide auch. Die Seidentücher werden von mir zu einem Supertau zusammengerollt, und es beginnt vor meinem Hostel ein Wettkampf im Tauziehen, dem die hochwertige Seide mühelos standhält.
Doch eines Morgens wird mir klar, wofür Seide in Australien wirklich gut ist. Ich fahre von Perth aus mit einem Mietwagen entlang der Westküste Richtung Norden, um einen sogenannten Prinz Leonard zu besuchen, als ich eine erschreckende Meldung im Radio höre:
»Zwei von drei Australiern bekommen im Laufe ihres Lebens Hautkrebs!«
Ich bin schockiert, dass das Ozonloch, das über Australien schon seit Jahren existiert, solche verheerenden Folgen hat. Also nehme ich die Seidentücher und verdecke die Fensterscheiben im Auto, um die 600 Kilometer, die ich vor mir habe, ohne Sonneneinstrahlung hinter mich zu bringen.
Ein ganzes Land, nicht nur ein Haus
Ich fahre also Richtung Norden, denn ich habe von Prinz Leonard gehört und konnte es kaum glauben: Da hat doch jemand allen Ernstes vor Jahren im Nordwesten Australiens auf einer Fläche so groß wie Hongkong oder Andorra sein eigenes Land eröffnet. Kein Scherz! Eines Morgens hat er sich so über die australische Politik geärgert, dass er überall entlang der Grenze seines riesigen Grundstücks Schilder mit »Grenze« oder »Sie betreten nun das Land ›Hutt River‹« aufstellte. Das muss ich mit eigenen Augen sehen, so jemand ist bestimmt exzentrisch und adelig genug, um sich auch auf ein gutes Tauschgeschäft mit edler Seide einzulassen.
Als ich die »Landesgrenze« passiere, werde ich tatsächlich von einem Grenzschild begrüßt. Und wenig später steht auch schon ein alternder Mann, der sich in einen purpurroten Prinzen-Mantel gekleidet hat, vor einem Gebäude, das die Aufschrift »Regierungsgebäude« trägt. Als ich aussteige, schaut er in meinen Wagen und schüttelt den Kopf darüber, dass dort ein riesiger Berg Seide total zerknüddelt und zusammengefriemelt auf meinem Rücksitz liegt. So werde ich die Seide bestimmt nicht los, stellt der Prinz sofort klar. Doch noch bevor wir weiter übers Tauschen plaudern können, lädt der Prinz mich ins Regierungsgebäude von Hutt River ein, das die Optik einer australischen Farm mit Unmengen von Schmeißfliegen im Inneren hat. Dort zeigt er mir sofort all die Beweise dafür, dass sein Staat auch real ist. Er gibt mir verschiedene Münzen und Geldscheine, die in seinem Land im Umlauf sein sollen. Sie sind äußerst professionell gemacht und tragen die Aufschrift »Hutt River Dollar«. Im kleinen Laden gegenüber dem Regierungsgebäude, das mit der Nationalflagge von Hutt River geschmückt ist, treffe ich die Prinzessin des Staates.
Die 80-jährige Ehefrau des Prinzen nimmt eine Zwei-Dollar-Hutt-River-Münze entgegen und reicht mir dafür eine Cola. Während sie das Geschäft abwickelt, weiß sie zu berichten, dass das Leben als Prinzessin schon ziemlich anspruchsvoll sei. Das Leben als Bäuerin auf einer Farm wäre bestimmt leichter. Aber sie unterstreicht auch, dass sie das Leben als Prinzessin nicht mehr gegen einen anderen Job eintauschen möchte.
Zurück im Regierungsgebäude stempelt der Prinz ganz offiziell meinen Pass ab und führt mich an seinem weißen Rolls Royce vorbei, der mit kleinen Hutt-River-Fähnchen geschmückt ist, zum Parlamentsgebäude. In einem garagenähnlichen Gebäude stehen fünf Stühle um einen unaufgeräumten Tisch herum. Prinz Leonard setzt sich ans Kopfende und bittet mich, am Regierungstisch Platz zu nehmen. Dann erzählt er mir, dass er den Austausch zwischen den Nationen als sehr wichtig erachte, daher würde sein Land auch in verschiedenen Ländern durch seine Konsuln vertreten. Das kann ich sogar selbst bestätigen, zumal ich mit dem Prinzen durch einen gewissen Herrn Slatow in Kontakt gekommen bin, der für ihn in Berlin mehrere Jahre das »Konsulat Hutt River/Deutschland« geleitet hat.
Doch der Austausch von Hutt River mit dem direkten Nachbarn verläuft offensichtlich nicht immer so friedlich. Vor einigen Jahren hatte die australische Regierung das Unabhängigkeitsbestreben des Prinzen wohl satt und forderte ihn auf, das mit Hutt River sofort zu unterlassen.
Prinz Leonard beschreibt, wie er dem Staat Australien daraufhin ganz offiziell den Krieg erklärt hat und mit seiner fünf (!) Mann starken Armee im Rücken jegliche australische Forderungen zurückgewiesen habe. Ich sitze dem Prinzen gegenüber, schaue ihm in die Augen und weiß kaum, wie ich mir das Lachen
Weitere Kostenlose Bücher