Wigges Tauschrausch
Schalen gegen Second-Hand-Klamotten tauscht, um diese dann wiederum gewinnbringend zu verkaufen. Ihre Tätigkeit erinnert mich an Simon, den Barter-Profi aus Köln, der nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet, aber nicht im Slum, sondern auf Unternehmensebene in Deutschland. Interessant, so unterschiedlich Simon und Chandarei sind, so sehr ähnelt sich ihr Tauschkonzept. Beide tauschen und verkaufen die Tauschprodukte gewinnbringend an Nischenabnehmer. Ich beobachte, wie Chandarei von Slumhütte zu Slumhütte geht und die Töpfe und Schüsseln anpreist und dann bei Interessenten gegen alte Kleidung eintauscht, wobei sie ständig unzufrieden zu sein scheint. Ihr Kollege erklärt mir, dass das zum Tauschhandel dazugehöre, immer ein Pokerface aufzulegen und so lange Unzufriedenheit vorzuspielen, bis man das Beste aus dem Geschäft herausgeholt hat. Ich kann es kaum glauben, wie professionell und abgebrüht das im Slum abläuft und wie naiv ich mich über jeden Tausch gefreut habe, so dass meine eingetauschten Gegenständemehr an Wert verloren haben, bis es schließlich nur noch fünf Kilo Tee waren. Kein Wunder, ich war einfach zu ehrlich.
Mit dieser Erkenntnis über die Kunst des Tauschens ziehe ich weiter durch den Slum und besuche die sogenannte Müllstraße, einen völlig surrealen Ort. Eine riesige Pipeline führt überirdisch durch den Slum, sie ist jedoch kaum noch zu sehen, da meterhoch Müll um sie herum aufgestapelt ist, auf dem wiederum Menschen leben. Kleine Kinder stapfen durch Müll, zwischen toten Hunden und Kloaken hindurch. Ich trete versehentlich in der Müllstraße mit meinen offenen Schlappen in eine der Kloaken und bekomme Angst, dass ich mich mit irgendwelchen Krankheiten infiziere.
Dann finde ich mich in einer Gegend wieder, die durch riesige Berge von Recyclingschrott geprägt ist. Überall befinden sich hohe Berge aus alten Computern, Kinderspielzeug, leeren Joghurtbechern und sonstigen Kunststoffprodukten, die wir im Westen weggeworfen haben. Hier wird unser Luxusschrott kostengünstig auseinandergeschlagen und nach Größe und Material sortiert, um schließlich nach einem Verbrennungsprozess in Form von kleinen Plastikkugeln wieder zu neuen Plastikprodukten verarbeitet zu werden.
In den engen Gassen des Slums laufen rußgeschwärzte Menschen mit großen Säcken voller Plastikschrott neben mir her. Ich gehe in eine der Recyclinghallen und beobachte, wie unter schwachem Neonlicht Männer alte Fernseher mit großen Hämmern zerschlagen. Es ist so laut, dass mir die Ohren wehtun. Ich spreche mit ihnen und frage, was genau sie dort machen. Sie erzählen mir, dass der Schrott aus Europa und den USA angeliefert wird und sie ihn für 25 Eurocent die Stunde verarbeiten. Ich schauein einen der Säcke und finde Kinderspielzeug aus Deutschland, das vor zwanzig Jahren auch in meinem Kinderzimmer gestanden haben könnte. Zwar sind die Raumstation und das Teleskop nicht dabei, aber viele andere kleine Figuren erkenne ich wieder, und die hätten sich sicherlich nicht erträumt, nach einer glücklichen Zeit in einem deutschen Kinderzimmer ein solches Ende im Slum von Dharavi zu finden. Ich frage mich, ob die Entsorgung unseres Luxusschrotts durch billige Slumarbeiter in Indien eine angemessene Form des Austauschs zwischen Europa und Indien ist. Zwar schafft das in Indien Arbeitsplätze, aber es hinterlässt ein sehr ungutes Gefühl, mit anzuschauen, wie unsere Luxusartikel im Hinterhof der Dritten Welt fast kostenlos entsorgt werden – und die Menschen dort buchstäblich in unserem Abfall leben.
Ich verlasse Dharavi sehr deprimiert, dieser Ort ist mit so vielen Problemen und einer Schwere belastet, wie ich es bislang noch an keinem Ort der Welt gespürt habe. Und dennoch habe ich inmitten all dieses Elends nur freundliche Menschen getroffen.
Insgesamt habe ich 33 Tage in Indien verbracht, in denen ich vier Mal getauscht habe, und die Tage in Indien haben meine kleine Europareise in puncto Anstrengung weit in den Schatten gestellt. Ich merke, dass ich mich körperlich von den Anstrengungen nicht mehr richtig erhole. Ich habe seit zwei Wochen unerklärliche Rückenschmerzen und seit Tagen Durchfall. Deshalb schütte ich mir literweise Wasser in den Körper, aber die Belastung lässt sich so schnell nicht überwinden. Die Hitze, die Menschenmassen, die Kulturunterschiede, das ungewöhnliche Essen und die langen Tage des Suchens nach Tauschpartnern haben mich einfach fertiggemacht. Ich bin über meine
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