Wigges Tauschrausch
verkneifen soll. Diese Geschichte ist absolut irrsinnig.
Der Prinz und ich schauen uns mehrere Sekunden schweigend an, weil ich auf ein Lachen von ihm warte, das die Kriegsstory als Witz entlarvt. Er wartet wohl ebenfalls auf meine Reaktion, eine anerkennende, wie ich vermute. Als beides nicht eintrifft, entsteht eine unangenehme Stille, in die hinein ich schließlich frage, ob so eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Nachbarstaaten nicht schrecklich wäre. Der Prinz wiegelt ab, manche Dinge müssten einfach sein, wenn man seine Ziele durchsetzen wolle.
Am Ende meines Besuchs im Reich des Prinzen begleitet er mich zur Verabschiedung zum Grenzschild zwischen Hutt River und Australien. Wir stehen uns am Grenzstreifen, umgeben von weiter Wüste, gegenüber, ich auf australischem Boden und er auf dem Hoheitsgebiet von Hutt River. Ich frage ihn, ob er zum Abschied nicht kurz einen Fuß auf australischen Boden setzen wolle. Doch offenbar ist ihm das bereits zu viel Austausch mit dem verfeindeten Nachbarland. Also biete ich ihm stattdessen ein Symbol des Austausches mit Deutschland an und überreiche ihm einen bayerischen Bierkrug. Im Austausch mit einer Hutt-River-Flagge wechselt er den Besitzer über den Grenzstreifen hinweg.
Als ich meinen Weg fortsetze, sehe ich den Prinzen noch eine Zeitlang im Rückspiegel, wie er alleine und ein wenig verloren am Grenzschild steht. Ich frage mich, ob der Prinz von seiner skurrilen Staatsgründung in irgendeiner Weise profitiert. Würde er nicht manchmal doch ganz gerne im nächstgelegenen australischen Pub einen Drink nehmen? Wie viel leichter ist das Leben doch, wenn man auf Austausch statt Abgrenzung setzt!
Mit dem Bild des traurigen Prinzen im Kopf fahre ich zurück nach Perth. Gleichzeitig denke ich, wenn ein Farmer irgendwo in Australien einen eigenen Staat gründen kann, werde ich es doch wohl noch zu einem Haus auf Hawaii bringen, oder nicht?
Auf der 600 Kilometer langen Strecke zwischen Hutt River und Perth gibt es übrigens nichts, keine Menschen, keinen Handyempfang, kein Internet. Es ist verrückt, dass ich nach dem absolut überfüllten Indien in einem Land gelandet bin, das ungefähr so groß wie Europa ist, aber nur etwas mehr Einwohner als Nordrhein-Westfalen hat. Zum Glück gibt es auf halber Strecke nach Perth ein kleines Dorf mit einer Tankstelle. So klopfe ich am frühen Abend an eine Haustür, um nach einer Unterkunft zu fragen. Eine korpulente Dame über siebzig namens Betty öffnet mir und bittet mich herein. Sie freut sich, unerwarteten Besuch zu haben, da sie in dieser einsamen Gegend nur wenig Austausch mit anderen Menschen hat, und lädt mich sofort ein, die Nacht in ihrem Haus zu verbringen. Sie erzählt mir, dass die geringe Bevölkerungsdichte im Krankheitsfall zu einem echten Problem wird, da das nächste Krankenhaus mehrere Stunden entfernt ist. »Wenn du eineHerzattacke hast, bist du auf halbem Weg zum Krankenhaus schon weg!« Sie lacht, wird dann wieder ernst und fügt hinzu, dass sie aus diesem Grund im nächsten Monat in die nächstgrößere Stadt zu ihrer Tochter zieht. In dieser Gegend wird es also wohl auch nichts mit einem Tauschgeschäft, denn zum Tauschen braucht man nun mal andere Menschen. Also schnell wieder zurück nach Perth.
Die Erfahrungen mit dem kriegswütigen Prinzen in der menschenleeren Umgebung haben mich nachdenklich gemacht. Ich entschließe mich, in Perth erst einmal eine kleine Kampagne zu starten, für einen liebevolleren Austausch zwischen Australien und Hutt River im Speziellen und zwischen den Menschen im Allgemeinen. Zu diesem Zweck hole ich das Geschenk einer Freundin aus meinem Rucksack: die Liebes- und Wärmedecke. Eine schöne, kuschelige Wolldecke mit großen roten Herzen, in die man so hineinschlüpfen kann, dass nur noch das Gesicht herausschaut. Wenn das kein Symbol für den Austausch von Wärme und Liebe ist!
So vorbereitet, mache ich mich auf in die Fußgängerzone von Perth. Ich gehe auf Passanten zu, umarme sie innig und erkläre, als Gesandter von Hutt River den Austausch zwischen beiden Staaten verbessern zu wollen. Überraschenderweise kennen alle Passanten den angeblichen Staat Hutt River inklusive Prinz Leonard. So lassen sich viele auf meine Umarmungen ein. Die Passanten lachen und bitten mich, diesem verheerenden Krieg doch endlich ein Ende zu bereiten und Frieden im Staate Hutt River einkehren zu lassen. So vergeht ein Tag im Zeichen des Austausches von Liebe und Wärme mit den
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