Wild (German Edition)
seinetwegen gekommen.
»Alfred würde nie alles, was ihm wichtig ist, an einem so gefährdeten Ort wie einem Zelt aufbewahren«, widersprach Gabriel. »Er hat einen unterirdischen Bunker, in dem er alles lagert, was er im Lauf der Zeit von Hehlern und Schmugglern erwerben konnte. Er weiß, wie man sich vor Morbus Fünf schützen kann, Pia.«
»Wie will er die Jäger infizieren, ohne alle Waldleute umzubringen? Das ist doch bestimmt unglaublich gefährlich!«
»Alfred und Paulus vertragen sich nicht besonders gut«, sagte Gabriel. »Aber sie haben einen gemeinsamen Traum: Dass wir eines Tages etwas haben, was wir den Regs entgegensetzen können. Womit wir handeln können. Wenn wir die Krankheit über die Jäger bringen und ihnen ein Heilmittel anbieten, werden sie auf uns hören müssen.«
Paulus würde diesen Plan niemals billigen, das wusste Gabriel so gut wie ich. Dafür würde er jeden verbannen, der daran beteiligt war.
»Morbus Fünf wird durch direkten Kontakt übertragen. Das alles wird gar nicht so leicht. Wollt ihr es den Jägern ins Gesicht schütten?«
Es war, als hätte er mir nicht zugehört. »Für das Medikament werden sie jeden Preis bezahlen.«
»Das ist Wahnsinn. Das ist so was von bescheuert! Selbst wenn es gelingt – die Regs werden die Wälder zerbomben, bis alle tot sind.« Auf dem Feuer der Rache lässt sich keine Suppe kochen, hatte Jeska gesagt.
»An Morbus Fünf stirbt man nach einer Woche«, sagte Gabriel. »Unweigerlich. Zuerst kommt der Husten, dann blutet man aus der Nase. Die Glieder tun einem weh, man fiebert. Hitzewellen und Kälte wechseln sich ab. Am sechsten Tag verliert man das Bewusstsein, am siebten gibt das Herz auf.«
»Und? Soll ich mich darüber freuen, dass ihr Menschen umbringen wollt?«
»Nach einem Tag fangen die Symptome an, Pia. Das heißt, jeder Angesteckte weiß Bescheid und kann darauf drängen, dass er geheilt werden will. Bis zum fünften Tag, bis man ohnmächtig wird, ist Heilung möglich. So lange werden die kranken Jäger der Regierung die Hölle heiß machen, um das Medikament zu bekommen. Verstehst du, was das bedeutet? Sie werden vier Tage lang darum kämpfen, gerettet zu werden. In diesen vier Tagen können wir Verhandlungen durchführen. Sie werden unseren Forderungen nachgeben müssen. Sie haben keine andere Wahl!«
Es klang völlig irre. Wie konnte er erwarten, dass ich bei so etwas mithalf?
Ich dachte an Luther. Luther in Phils Sarg. Tot. Wenn dieses fürchterliche Virus so schnell wirkte, wie konnte Alfred auch nur in Erwägung ziehen, es wissentlich auszubreiten? Medikament hin oder her, das war Wahnsinn.
Ich war kurz davor, ihm meine Meinung zu sagen, als mir etwas einfiel. Und dadurch verlor dieser Plan schlagartig seinen Schrecken. »Ihr könntet Lucky mitnehmen!«
»Wen?«
»Lucky«, sagte ich. »Meinen Freund. Bringt ihn mit!«
»Das ist völlig unmöglich. Wie stellst du dir das vor?«
»Aber wenn ihr sowieso nach drüben fliegt …«
Die Hoffnung wollte noch nicht aufgeben, noch lange nicht.
»Pia«, sagte Gabriel leise, »wenn wir jemanden mitnehmen würden, würde Paulus doch sofort merken, dass wir gegen seine Regeln verstoßen haben. Wir müssen vorsichtig sein. Dieser Kampf ist schwierig genug.«
»Also soll ich ein Risiko eingehen und mein Vater auch, aber du weigerst dich, mir zu helfen?«, fragte ich bitter. »Du hast ja keine Ahnung, was Liebe ist.«
Ich hörte, wie er die Luft anhielt. »Meinst du? Ich habe ein Mädchen. Aber nicht hier, sondern bei den Wölfen. Paulus erlaubt weder, dass ich in jene Gruppe wechsle, noch, dass sie herkommt. Also erzähl mir nichts. Ich weiß, wie es ist, von demjenigen getrennt zu leben, den man liebt.«
Aus irgendeinem Grund machte mich sein Geständnis wütend. Alle hatten jemanden, der sie liebte. Orion. Und nun auch Gabriel. Niemand war übrig, um mich zu lieben. Nur Lucky. Ich brauchte Lucky. Ohne ihn konnte ich es hier keinen Tag länger aushalten. Wenn Lucky hier in der Wildnis gewesen wäre, in einer anderen Gruppe, hätte mich weder Paulus noch sonst jemand von ihm fernhalten können, und das sagte ich auch.
Nun wurde auch Gabriel wütend.
»Es ist ernst, verstehst du das nicht? Paulus würde nicht einmal auf mich Rücksicht nehmen, wenn ich mich ihm widersetze. Er droht nicht nur, er setzt seine Regeln auf jeden Fall durch. Hat Jeska dir nicht erzählt, was mit ihrem Vater passiert ist?«
»Ich hatte das so verstanden, dass er tot ist.«
»Das ist nicht gesagt. Er
Weitere Kostenlose Bücher