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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Haut, als mir bewusst wurde, dass ich als Einzige noch herumstand, eine leichte Beute und überdies der Beweis dafür, dass Menschen hier lebten.
    Ich musste sofort verschwinden, aber wohin? Mit Macht drängte ich die Tränen zurück. Der Baum. Natürlich! Jeska hatte mir vorhin noch gesagt, dass er sich gut zum Klettern eignete.
    Es war gerade hell genug, um die Astgabel zu erkennen, in die ich meinen Fuß setzen musste. Von dort aus erklomm ich den nächsten Ast und zog mich höher hinauf. Schließlich saß ich auf einem breiten Ast, nicht sehr hoch, obwohl mir vier oder fünf Meter schon recht weit weg vom Erdboden vorkamen. Direkt vor mir war eins der größeren Netze befestigt, die den Blick von oben auf das Lager unmöglich machen sollten.
    Ich machte es mir einigermaßen bequem und lauschte dann in die Dunkelheit hinaus. Alles schien ruhig. Der Wald machte immer Geräusche, Mäuse fiepten, Nachtvögel flatterten, es knackte, es raschelte … Kein Grund zur Sorge, sagte ich mir, und doch fuhr mir jeder Laut mitten durchs Herz. Ich versuchte gleichmäßig zu atmen. Alles in Ordnung. Gabriels Freunde werden nicht zulassen, dass die Jäger ins Lager kommen. Sie werden nicht …
    Ich erstarrte, als ich einen hellen Schein unter mir wahrnahm. Unser Zelt. In unserem Zelt war Licht. Die Solarlampe! Ich hatte sie mit den anderen Sachen auf die Matten geworfen, hatte nicht daran gedacht, dass sie leuchten würde. Mit zunehmender Dunkelheit wurde sie immer heller, so hell, dass sie Bennis Schatten an die Zeltwand warf. Er saß immer noch da und spielte ruhig mit seinen Stöckchen. Von hier oben konnte ich zuschauen, wie er seine Hände bewegte.
    Es half nichts, ich musste vom Baum herunter und die Lampe ausschalten, auch wenn ich in der Dunkelheit des nächtlichen Waldes kaum wieder hinaufkommen würde. Oh, verdammtes Frühlingswetter! Wie hatte ich nur so blöd sein können!
    Ich hangelte gerade nach dem Ast unter mir, als ich den Schatten auf dem Platz vor dem Zelt bemerkte, fast direkt unter mir. Eine Gestalt. Einen Moment lang hoffte ich, hoffte ich, tat nichts anderes als mir wünschen, dass es einer unserer Leute war. Einer von Gabriels Kämpfern, der zurückgekommen war, um Entwarnung zu geben. Oder einer derer, die hiergeblieben waren, jemand, der wie ich noch kein Versteck gefunden hatte. Ich würde ihm zurufen, er solle die Lampe ausschalten, und konnte oben in der Astgabel bleiben. Aber während ich mir das noch wünschte, wusste ich schon, dass es einer von den Regs war. Ich konnte es spüren, ich witterte es. Mein Körper wusste es, so wie das Wild in den Wäldern es weiß, ob der Mensch vor ihm ein Jäger ist oder ein harmloser Wanderer.
    Ein Mann. Reglos betrachtete er das Schattentheater, das sich ihm bot. Das Gewehr trug er nicht über der Schulter, sondern schussbereit in beiden Händen. Ein leichteres Ziel gab es nicht, als Benni hinter der Zeltwand.
    In diesem Moment übernahmen die klaren Gedanken. Meine Angst schrie um Hilfe. Meine Angst lähmte mich, sie war wie ein Sturm in meinem Kopf, der alle Vernunft durcheinanderwirbelte. Aber auf meine klaren Gedanken war Verlass. Ich schob die Gefühle zur Seite, eine Sache von weniger als einer Sekunde. Meine Gedanken waren schnell, vielleicht schneller als das Licht, denn während der Jäger seine Waffe in Position brachte, auf die Schattengestalt des kleinen Jungen im Zelt zielte, überschlug ich die Möglichkeiten. Ich konnte rufen, ihn ablenken, sodass er sich mir zuwenden würde. Dann würde er mich erschießen und anschließend Benni, damit war nichts gewonnen. Nein, ich musste ihn überrumpeln, aber ich war hier oben auf dem Baum, unmöglich konnte ich so schnell herunterklettern, noch dazu lautlos, und überdies hatte ich keine Waffe. Wie tötete man einen Menschen? Ich wusste es nicht. Ich hatte immer angenommen, dass es schwer sein würde, aber in diesem Moment wurde mir klar, dass es ganz leicht war. Man musste nur Schritt für Schritt tun, was nötig war. Und ein bisschen Glück gehörte auch dazu.
    Ich packte das Netz mit beiden Händen und sprang vom Ast.
    Die Verankerungen rissen, während ich fiel. In einem Sturm aus Zweigen und Blättern flog ich durch die Luft, in die Tiefe, doch wie erwartet stürzte ich nicht senkrecht nach unten. Das Netz war auch am gegenüberliegenden Baum befestigt, und so flog ich einen Bogen, erwischte den Mann mit meinem ganzen Gewicht in die Seite und fiel über ihn. Wir landeten mitten in Jeskas Steinhaufen.

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