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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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absetzen? Vor der Schule? Oder vielleicht am Genesungshaus? Sind wir endlich vernünftig geworden?«
    »Ja«, sagte Orion. »Sind wir. Zum Genesungshaus.«

15.
    Wie ein Model für Autowerbung lehnte Moon sich an die Beifahrertür und tauschte Nettigkeiten mit Frau Zuckermann aus.
    Wir anderen hielten bereits im Laufschritt auf den Eingang des Genesungshauses zu.
    »Wartet!«, rief Moon uns nach, als wir schon in die Empfangshalle stürzten. »Ich will auch mit!«
    »Zum Lift«, sagte Lucky. »Star ist bestimmt wieder in Phils altes Zimmer gegangen.«
    Leider waren wir hier keine Unbekannten. Die Schwester hinter dem Tresen rief uns, dann hörte ich die schweren Schritte von Wächtern. Moon schaffte es gerade noch, vor ihnen zu uns in den Fahrstuhl zu springen.
    »Wie macht ihr das eigentlich, dass ihr immer und überall verfolgt werdet?«, fragte sie.
    Gespannt beobachtete ich die Etagen-Anzeige über der Lifttür. Wir kamen zu spät, ich fühlte es. Obwohl Happiness zügig gefahren war, war seit Stars Anruf bereits eine Stunde vergangen.
    Und wenn man sie längst festgenommen hatte? Ihr Blut untersucht? Die Unterbrechung des Glücksstroms festgestellt? Was, wenn sie geredet hatte? Vielleicht war es ein Fehler, dass wir hergekommen waren.
    Die Absätze von Moons neuen Kids-for-freedom-Schuhen klapperten auf dem Gang, meine quietschten. Wir wechselten einen Blick und zogen jeder die Schuhe aus, und da es nichts gab, hinter dem wir sie hätten deponieren können, behielten wir sie in der Hand. Obwohl kaum jemand zu sehen war, hörten wir durch die offenstehenden Türen, wie sich zwei Genesungshelferinnen leise unterhielten und mit ihren Kaffeetassen klapperten. Wir schlichen vorbei und hofften, dass sie gerade woandershin geschaut hatten.
    Phils Zimmer schien kilometerweit entfernt zu liegen. Wir brauchten endlos, und jeden Moment erwartete ich, eine der Schwestern würde auf den Gang hinauskommen, uns sehen und zu schreien anfangen. Aber wir hatten Glück.
    Da war die richtige Tür, von der Farbe reifer Pfirsiche, sommerlich und sanft.
    Lucky öffnete sie so leise wie möglich, trotzdem knarzte sie in den Angeln.
    Star saß an einem Bett, in dem ein fremdes Kind lag, das an zahlreiche Schläuche und Kabel angeschlossen war. Es trug einen Verband über den Augen, und auf dem Monitor waberte eine piepsende Herzlinie. Die schlaffe Hand lag in Stars Griff.
    Martys Bett war leer.
    Ansonsten war niemand da, keine Ärzte, keine Helferinnen oder gar Wächter. Meine Erleichterung war so groß, dass ich erst gar nicht wahrnahm, wie furchtbar Star aussah. Wie blass sie war. Ihre großen Augen glänzten fiebrig. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, platzte ich mit dem ersten Satz heraus, der mir in den Sinn kam. »Das ist nicht Phil.«
    »Doch«, widersprach sie. »Schau genau hin. Er ist es.«
    »Das ist er nicht. Phil hatte doch keine …« Augenverletzung, wollte ich sagen, aber im Nähertreten sah ich, dass er es doch war. Da war das Pflaster an seiner Wange, durch das die rote Linie durchschimmerte. Blonde Strähnen lugten aus dem Kopfverband. Die Abschürfungen an seinen Händen waren mir vertraut.
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, sagte Moon. »Soll das lustig sein?«
    Star schlug die Bettdecke zurück. Ein großes Pflaster bedeckte Phils Bauch, ein weiteres seine Brust.
    »Da haben sie ihm das Herz entnommen, für den anderen Jungen«, erklärte Star mit so lebloser Stimme, als würde sie in der Schule ein langweiliges Referat halten. »Seht ihr das Schild da am Bettende? Da steht alles. Das Herz für Marty Mozart. Sie sind noch lange nicht fertig mit ihm. Die Augen hat ein J. Freund bekommen. Morgen sind die Nieren dran. Die kriegt Calvin S.-Frühlingswetter.«
    »Mozart?«, fragte Moon. »Mozart, so wie Truth Mozart? Wie Dr. Jubel Mozart? Au Mann, das gibt’s doch nicht! Das ist ja so eine Ehre, Star! Dein Bruder hat dem Kind der besten Designerin von Neustadt …«
    »Sei still«, unterbrach Lucky sie schroff. »Kannst du nicht einmal im Leben den Mund halten?«
    Ich bemühte mich, Star anzusehen. Ihr weißes, seltsam unbewegtes Gesicht, dem seine kindliche Schönheit abhanden gekommen war. »Das tut mir so leid«, sagte ich leise. »So ungeheuer leid.«
    »Und es ist noch nicht vorbei«, flüsterte sie.
    Orion überprüfte gerade die Liste. »Stimmt. Der nächste OP-Termin ist morgen.«
    Star war bleich wie ein Leichentuch. Weiß wie die Wand. Klein und still und sah mehr denn je wie eine Porzellanpuppe

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