Wild wie das Meer (German Edition)
nur dein Vergnügen haben und dann weggehen? Dachtest du, sie würde sich mir zuwenden? Oder wolltest du sie mir zuspielen, ohne auch nur im Geringsten auf ihre Gefühle zu achten? Sie ist nicht Elizabeth! Sie ist völlig anders als deine Mätresse! Virginia könnte niemals vortäuschen, anders zu sein, als sie wirklich ist, nicht für einen Moment. Sie zeigt ihre Gefühle offen. Sie gewährt Einblick in ihr Herz! Was dachtest du, was geschehen würde?“
„Eigentlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht“, räumte Devlin zerknirscht ein und nahm wieder Platz. Sein stürmisch rasendes Herz ließ all seine Bemühungen, gefasst und abgeklärt zu wirken, lächerlich erscheinen. Er begann zu zittern. Hatte er den Mut, die Wahrheit zu gestehen? Wenn schon nicht seinem Bruder, dann doch wenigstens sich selbst? „Ich habe jegliche Selbstbeherrschung verloren“, bekannte er. „Ich habe mir geschworen, es nicht zu tun. Ich habe ihr versprochen, sie nicht anzufassen. Aber in jener Nacht hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle. Noch nie habe ich die Kontrolle über mich verloren. Verdammt, ich habe eine unschuldige junge Frau ruiniert!“ Und mit einem Mal konnte er sein Schuldbewusstsein nicht mehr leugnen. Kurz verbarg er sein Gesicht hinter beiden Händen.
„Dann hast du also doch noch menschliche Regungen in dir.
Sag ihr, was du mir gestanden hast. Sag ihr, dass es dir leidtut, dass du dein Verhalten bedauerst und dass du sie so schön fandest, dass du dich nicht mehr unter Kontrolle hattest.“
Er fluchte. „Ich bin kein Dichter, Sean.“
„Dann sag etwas Freundliches zu ihr mit deinen eigenen Worten!“
„Das habe ich schon getan.“ Sein Entschluss sollte nicht ins Wanken geraten. Nein, er würde sich nicht wieder in Virginias Nähe begeben, und auf keinen Fall würde er auf die unliebsame Vergangenheit zu sprechen kommen.
„Sag es ihr noch einmal.“
„Auf gar keinen Fall.“
Sean seufzte und schien nicht mehr weiterzuwissen. Schließlich sagte er langsam und eindringlich: „Vielleicht solltest du darüber nachdenken, was ein solcher Mangel an Selbstbeherrschung bedeutet.“
Devlin erhob sich. „Es bedeutet, dass sie mich in unnatürlicher Weise provoziert.“
„Wie gut du dir deine Theorie zurechtgelegt hast“, murmelte Sean mit spöttischem Unterton.
Aber Devlin hörte gar nicht richtig hin, denn er begann wieder, rastlos im Zimmer auf und ab zu gehen, als wäre er auf seinem Deck. „In all den Monaten habe ich versucht, auch den kleinsten Gedanken an diese Frau aus meinem Kopf zu verbannen“, sagte er mehr zu sich selbst. „Wenn ich in der Lage bin, französische Kommandanten zu besiegen, dann vermag ich auch, mich selbst zu besiegen.“
Ein dünnes Lächeln umspielte Seans Lippen. „Vielleicht lässt diese Frau nicht zu, dass du den Sieg davonträgst.“
„Verflucht noch mal.“ Nie hatte Devlin größeren Zorn verspürt.
Falls Devlin überrascht war, sie zu sehen, so ließ er es sich nicht anmerken. Er hatte es sich auf dem mit Brokat überzogenen Sofa bequem gemacht, die Beine lässig übereinandergeschlagen, und nickte ihr bloß höflich zu.
Virginia starrte ihn an. Er hatte sich mit jemandem geprügelt. Sein linkes Auge war geschwollen und dunkel verfärbt, ebenso sein Kinn. Was, in Gottes Namen, war vorgefallen?
Sie wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als Sean aus seinem Lehnstuhl aufsprang, ihr entgegeneilte und sie in den Raum geleitete. Er lächelte, doch sein Blick glitt forschend über ihr Gesicht.
„Es geht mir gut“, antwortete sie auf seine unausgesprochene Frage. Sie warf einen weiteren besorgten Blick auf Devlin, sagte dann jedoch zu sich selbst, dass es sie nicht kümmerte, wenn er gegen den Teufel persönlich gekämpft hätte.
Sean schenkte ihr wieder ein Lächeln und drückte aufmunternd ihre Hand. „Er wird dich morgen zu seinem Landhaus bringen. Das Anwesen liegt ganz in der Nähe von Eastleigh Hall. Du sollst deinen Onkel treffen. Bist du dazu bereit, Virginia? Wirst du das schaffen?“
Sie nickte stumm und schaute wieder zu ihrem Entführer hinüber, der sie nun endlich eines Blickes würdigte. Doch seine Miene blieb ausdruckslos. Kurz dachte sie darüber nach, dass sie sich an die Behörden wenden könnte, sobald sie frei wäre. Devlin würde Jahre im Gefängnis schmachten, sofern er nicht längst einen Plan für diese Eventualität hatte.
Doch sie wollte einfach nur nach Hause – falls es die Plantage noch gab. Anders als Devlin hatte sie ein
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