Wild wie das Meer (German Edition)
Er ist nicht gefühllos oder gleichgültig dir gegenüber. Das alles ist reine Verstellung, eine Maske, hinter der er sich versteckt.
Wenn Devlin doch etwas an ihr lag, warum benahm er sich dann so? Wieso sollte er sie dann in die Arme seines Bruders drängen? Ihr Blick war weich, als sie sprach: „Askeaton ist zauberhaft, Devlin. In den fünf Monaten, die ich dort war, hatte ich das Gefühl, zu Hause zu sein.“
Seine grauen Augen verrieten nichts von seinen Gefühlen. Dann verzog er den Mund zu einem gespielten Lächeln. „Das hört sich gut an. Denn sobald das Lösegeld gezahlt ist, darfst du dorthin zurückkehren, falls das deinem Wunsch entspricht.“
„Hast du Schuldgefühle?“, fragte sie. „Sind es Schuldgefühle, die dich nun treiben? Willst du deinem Bruder zumuten, das Chaos aus der Welt zu schaffen, das du angerichtet hast?“
„Genug jetzt!“, beschied er ihr schroff.
„Genau das ist es, nicht wahr?“, setzte sie nach. „Dein schlechtes Gewissen! Du besitzt also doch ein Herz! Du hast gesagt, es tue dir leid – Sean hat mir das erzählt –, du hast sogar zugegeben, die Ohrfeige verdient zu haben. Demnach ist dir bewusst, wie unmöglich du dich benommen hast. Aber du würdest nie eine Vermählung in Betracht ziehen – nicht, dass ich das wollte!“, fügte sie hastig hinzu. „Aber wenn Sean es täte, käme es dir gerade gelegen!“
Er packte sie bei den Schultern. „Genug, sage ich!“
Sie erschrak. Seine großen, kraftvollen Hände ließen sie erbeben, und für einen Moment drehte sie sich ihm zu, denn sie wünschte, er möge sie in die Arme schließen und küssen. Doch noch im selben Augenblick meldete sich die Vernunft zu Wort, und sie wich vor ihm zurück. Er gab sie frei, aber sein Blick haftete kurz auf ihrem Mund.
Sie zögerte. „Ich bin übrigens deiner Mutter begegnet.“
Er erbleichte.
„Sie ist eine sehr freundliche Dame. Ich mag sie sehr.“
„Ich werde Sean töten“, murmelte er.
Sie packte ihn am Arm, aber Devlin war so aufgewühlt, dass sie ihre Hand gleich wieder zurückzog. „Das war nicht Seans Fehler! Deine Eltern kamen, da sie von unserer Verlobung gehört hatten.“
„Unsere Verlobung?“, wiederholte er verblüfft.
Virginia musste an sich halten, nicht zu lächeln. Sie hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, und das wollte sie noch ein wenig auskosten. Daher schwieg sie mit Bedacht.
„Wir sind nicht verlobt“, brachte er mühsam hervor.
Sie genoss diesen Augenblick. Wieder schwieg sie nur und zuckte die Achseln.
„Großer Gott, die Leute!“, entfuhr es ihm mit einem Mal. „Mittlerweile dürfte die ganze Stadt wissen, dass du meine Verlobte bist.“
„So wird es sein“, murmelte sie belustigt.
„Warum grinst du so schadenfroh?“, fuhr er sie an. „Wir beide wissen genau, dass ich mir diese Geschichte damals in Limerick nur ausgedacht habe.“
Sie seufzte. „Keine Sorge, das Missverständnis ist aufgeklärt.“
In der Kutsche wurde es totenstill. Sie schaute ihn zögerlich an. Seine silbergrauen Augen waren hart und unerbittlich. Ihr fröstelte. „Sean hat es ihnen schonend beigebracht.“ Schließlich gab sie auf. „Was erwartest du! Hast du geglaubt, du könntest die Nichte deines Erzfeindes als Geisel nehmen und deine Familie zum Narren halten?“
Er fluchte.
Virginia nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Ich weiß, was damals passiert ist, Devlin. Ich weiß, dass du Zeuge wurdest, wie mein Onkel deinen Vater auf grausame Weise ermordete. So ein Erlebnis würde jeden Menschen zeichnen. Ich verstehe dich jetzt, das tue ich wirklich!“
Seine Augen schienen zu flimmern, als er sich drohend vorbeugte. „Wenn du dich so gut mit meinem Charakter auskennst, Virginia, dann dürfte dir auch klar sein, dass du mehr von mir verlangst, als ich dir je geben könnte.“ Er bedachte sie mit einem düsteren Blick. „Je eher ich Eastleigh zugrunde richte, desto besser. Und je eher ich dich los bin, desto besser“, fügte er mit derselben finsteren Miene hinzu.
Seine Worte trafen sie, obwohl sie sein Verhalten kannte. Mit Bedacht erwiderte sie: „Du hast recht. Wenn ich freigekauft bin, werde ich zurück nach Sweet Briar gehen – ich kann es kaum erwarten.“ Doch die Wahrheit lautete, dass sie während der letzten Monate kaum an ihr Zuhause gedacht hatte. Erinnerungen, die einst ihr Leben begleitet hatten, waren inzwischen vage und undeutlich geworden. „Falls es die Plantage noch gibt“, fügte sie grimmig hinzu.
***
29. Oktober
Weitere Kostenlose Bücher