Wild wie das Meer (German Edition)
Braut.
Virginia schlief tief und fest, ihre weichen Lippen umspielte ein engelhaftes Lächeln, und ein paar Diamanten zierten noch ihre Lockenfülle. Sie lag auf der Seite und war nur bis zur Taille von der Decke umhüllt. Nach ihrer Hochzeitsnacht waren sie nach Waverly Hall zurückgekehrt und hatten sich den ganzen Tag und die folgende Nacht geliebt. Und immer noch verlangte es ihn nach ihren süßen Reizen.
Es war sieben Uhr morgens, der vierzehnte Dezember. In einer Stunde würde er die Segel setzen lassen – mit Kurs auf Amerika. Er wollte seine Braut nicht verlassen; er wünschte, er müsste nicht fort.
Nein, er wollte nicht fort.
Dann erhob er sich, den Hut in der Rechten. Was für ein Unsinn war dies? Was ging in ihm vor? Er war ein Krieger. Kampf war alles, was er kannte, und natürlich sah er dem Krieg mit Freude entgegen.
Er hörte, wie sie im Schlaf seufzte.
Sein Herz krampfte sich plötzlich schmerzhaft zusammen. Großer Gott, er würde sie vermissen – er vermisste sie jetzt schon, obwohl er das Haus nicht einmal verlassen hatte.
Die Furcht, die stets im Hintergrund lauerte – wie ein Ungeheuer, das sein Leben bedrohte –, kroch näher, um ihn zu packen. Was für ein Irrsinn ging hier vor? Er hatte die Pflicht, in den Krieg zu ziehen. Mochte er auch verheiratet sein, seine Braut konnte ihn nicht erweichen, nein, sie konnte nicht seinen Charakter oder seine Vorlieben ändern. All die anderen Empfindungen, die ihn seit der Hochzeit durchströmt hatten, würden sein Leben nicht bestimmen. Er war nicht verliebt. Die Liebe hatte keinen Platz in seinem Denken. Sobald er die Segel gesetzt hatte und Teil des Windes und der endlosen See wäre, würde er sich nicht mehr von derart törichten Gefühlen vereinnahmen lassen.
Und das bedeutete, dass er nun keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Sonst würde dies törichte Grübeln ihn noch entmachten.
Doch der Abschied war so schwer.
Und als die über hundert blutigen Schlachten sich an den Rändern der Erinnerung heraushoben, befiel seine Seele eine große Müdigkeit, die er nicht länger leugnen konnte.
Abrupt trat Devlin an das Bett. Er machte keine Anstalten, sie zu wecken, aber er betrachtete ihr liebliches Antlitz und wünschte, ihre engelhaften Züge immer in seiner Erinnerung zu behalten. Und für einen Augenblick war er geneigt, sie doch zu wecken.
Aber er tat es nicht. Ihre Verlockungen waren zu übermächtig. Stattdessen zog er ihr die Zudecke bis über die Schulter. Abermals seufzte sie im Schlaf.
Der Stich in seinem Herzen ließ ihn zusammenzucken.
Das Ungeheuer der Furcht schlich sich an und packte ihn unerbittlich.
Diese Frau war seine Gemahlin. Diese Ehe könnte alles andem. Er starrte auf seine schlafende Braut und gestand sich ein, dass er sich trotz der zwingenden Gründe nichts sehnlicher wünschte, als bei Virginia bleiben zu dürfen.
Das bedeutete, dass er gehen musste. Auf dem Absatz machte er kehrt und verließ mit schnellen, entschlossenen Schritten den Raum.
Später, das wusste er, würde ihn das Bedauern quälen.
Von jähem Schrecken durchzuckt, fuhr Virginia aus dem Schlaf hoch. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hatte geträumt, Devlin wäre nicht mehr da. Sie blinzelte im matten Dämmerlicht und glaubte, einem Albtraum erlegen zu sein, doch als sie die Decke zurückschlug, sah sie, dass sie allein war. „Devlin?“, rief sie in das Halbdunkel der frühen Morgenstunden. Zitternd stieg sie aus dem Bett und beugte sich zu der bronzenen Uhr auf dem Schreibpult hinab. Es war halb acht.
Und es war der vierzehnte Dezember.
An diesem Morgen musste Devlin in See stechen.
Aber er konnte doch noch nicht fort sein, ohne Lebewohl gesagt zu haben! Rasch hüllte sie sich in eines der Laken und eilte in den Wohnraum, doch dort war niemand. Von Entsetzen erfasst, stürmte sie in das Bad und griff nach ihrem Morgenmantel. Sie sah eine Schale mit Seifenwasser und Devlins feuchten Rasierpinsel auf dem Toilettentischchen; sie erstarrte in ihrer Bewegung, den Morgenmantel zuzubinden.
Der Schrecken ihres Albtraumes kehrte zurück.
Virginia rannte zum Kleiderschrank, riss die Türen auf und zog sich so schnell wie nur möglich an. In einem notdürftig zugeknöpften hellgrünen Kleid, Schuhe und Strümpfe noch in Händen haltend, eilte sie die Stufen hinunter.
Das Dienstmädchen durchquerte gerade das Foyer. „Hannah! Wo ist der Captain? Ist er fort?“
Das Mädchen schien sich über diese Frage zu wundern. „Er ist vor wenigen
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