Wild wie das Meer (German Edition)
Mund starrte er in Virginias Richtung. „Miss Virginia, sind Sie das?“
Hinter ihm erschienen die kleinen Zwillinge und machten große Augen. Dann sah Virginia aus den Augenwinkeln, wie sich die Haustür öffnete und Tillie auf die Veranda trat. Doch es war zu spät, denn da war sie bereits in Franks Armen gelandet. „Traust du etwa deinen Augen nicht mehr?“, rief sie und drückte den Schwarzen so fest an sich, dass ihm fast die Luft wegblieb. „Natürlich bin ich das! Wer sonst?“ Sie trat einen Schritt zurück und lachte den großen jungen Mann an.
„Gütiger Gott, diese feine Schule hat gewiss keine Dame aus Ihnen gemacht, Miss“, sagte Frank mit einem Grinsen, und seine weißen Zähne hoben sich stark von seiner schwarzen Haut ab.
„Du meinst wohl ,Gott sei Dank’, nicht wahr?“, neckte Virginia ihn. „Rufus, Ray, kommt her und lasst euch drücken, oder erkennt ihr eure Herrin nicht mehr?“
Die beiden eher scheuen Burschen kamen angelaufen und umklammerten Virginias Beine. Tränen brannten ihr in den Augen, als sie sich bückte, um die Jungen in den Arm zu nehmen.
Dann spürte sie, dass Tillie hinter ihr stand, und so drehte sie sich langsam um.
Tillie lächelte, und Tränen liefen ihr über die kaffeebraunen Wangen. Im Gegensatz zu Virginia war sie eine große Frau mit einer sehr weiblichen Figur und einem hübschen Gesicht. „Ich wusste, dass du wiederkommen würdest“, wisperte sie.
Virginia ließ sich in Tillies Arme sinken. Die beiden jungen Frauen umarmten sich.
Als Virginia ihre Freudentränen wieder unter Kontrolle hatte, trat sie zurück und lächelte. „Meine Füße schmerzen“, sagte sie. „Und ich verhungere schon! Wie geht das Brennen voran? Habt ihr Wurzelfäulnis entdeckt? Und wie sehen die Setzlinge aus?“ Immer noch lächelnd, wischte sie sich die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht.
Doch Tillie erstarb das Lächeln auf den Lippen. Ihre golden schimmernden Augen wirkten so furchtbar ernst.
„Tillie?“, fragte Virginia vorsichtig, denn der Blick ihrer Freundin behagte ihr ganz und gar nicht. Eine unbestimmte Furcht kroch in ihr hoch. „Bitte sag mir, dass alles in Ordnung ist.“ Sie ahnte, dass irgendetwas passiert sein musste, und nun fürchtete sie sich vor der ganzen Wahrheit.
Von Unglücksfällen hatte sie wahrlich genug. Unmöglich konnte sie einen weiteren Schicksalsschlag ertragen.
Tillie umklammerte Virginias Arme. „Sie verkaufen die ganze Plantage – und alles, was dazu gehört.“
Virginia wähnte sich in einem bösen Traum. „Was sagst du da?“, flüsterte sie ungläubig.
„Dein Vater ist verschuldet. Verzeih mir, Master Hughes war verschuldet, und jetzt hat dein Onkel einen Agenten hergeschickt, der begonnen hat, alles zu verkaufen ... das Land, das Haus, die Sklaven, die Pferde, einfach alles.“
Virginia schrie auf. Ein furchtbarer Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus, der so heftig war, dass sie ins Taumeln geriet. Tillie musste sie stützen.
„Aber was rede ich da“, versuchte Tillie ihre Freundin abzulenken. „Da bist du, noch dünner als sonst, hungrig wie ein Wolf im Winter, und ich belaste dich mit unseren Sorgen! Komm, Virginia, du brauchst eine warme Mahlzeit und ein heißes Bad. Dann reden wir weiter. Du kannst mir erzählen, wie es ist, eine feine Dame zu sein!“
Virginia war nicht in der Lage, irgendetwas zu erwidern. Dies musste ein furchtbarer Traum sein – es konnte unmöglich die Wirklichkeit sein. Sweet Briar konnte nicht zum Verkauf stehen.
Aber leider war es so.
Virginia trug ihr bestes Sonntagskleid. Tapfer lächelte sie Frank an, der sie nach Norfolk gefahren hatte. Sie strich den blauen Rock glatt, richtete den Mantel und rückte die Haube zurecht, die farblich zu dem Mantel passte. Eigentlich waren ihr die Kleider ihrer Mutter ein wenig zu groß gewesen, aber Tillie und zwei andere Sklavinnen hatten die halbe Nacht über genäht, bis alles richtig saß. Jetzt zwang Frank sich zu einem Lächeln, aber es gelang ihm nicht. Virginia wusste, warum – er hatte furchtbare Angst, dass seine Frau und die Kinder an einen anderen Plantagenbesitzer verkauft würden und er sie nie wiedersehen würde.
Aber dazu sollte es nicht kommen. Virginia wollte nichts unversucht lassen, um den Verkauf von Sweet Briar zu verhindern – und dafür gedachte sie sich an Charles King zu wenden, den Präsidenten der First Bank of Virginia, der ein guter Freund ihres Vaters gewesen war. Sie schluckte schwer und spürte, dass ihre
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