Wild wie das Meer (German Edition)
Schaftstiefel aus. Als er erneut in den Wandschrank griff, erhaschte Virginia ganz kurz einen Blick von etwas Goldenem, und schließlich hielt er saubere cremefarbene Breeches in Händen.
Sie sagte kein Wort, fuhr herum und war im Begriff, aus der Kajüte zu eilen.
Doch er durchmaß den Raum mit wenigen Schritten, legte eine Hand auf die Tür und hinderte sie daran, sie zu öffnen. „Sie können nicht in diesem Aufzug an Deck gehen.“
Sein Arm war über ihrer Schulter, und sie spürte seinen großen Körper unmittelbar hinter sich. Sie durfte sich jetzt nicht zu ihm umdrehen, denn dann wäre sie in seinen Armen gewesen. „Ich werde nicht zusehen, wie Sie sich entkleiden“, sagte sie mit einem merkwürdig rauen Unterton.
„Ich habe Sie nicht gebeten zuzusehen, Miss Hughes. Bitte um Vergebung, aber ich habe vergessen, wie unschuldig eine Frau von achtzehn Jahren ist.“
Virginia erstarrte. Spielte er nun die Rolle des Gentleman? Sie schwankte zwischen Unglauben und großer Verwirrung.
In diesem schier endlosen Augenblick wurde sie sich der Hitze bewusst, die seinem Leib entströmte, da er nur wenige Zoll hinter ihr stand. Abrupt nahm er den Arm von der Tür und trat zurück.
Langsam drehte Virginia sich um.
Noch immer hielt er die sauberen Breeches in der Hand. Schließlich brach er das Schweigen und sagte angespannt: „Schauen Sie kurz zur Seite. Ich bin sofort fertig, und dann können Sie sich umkleiden.“
„Ich ziehe es vor, nach draußen zu gehen ...“, begann sie.
„Großer Gott, Frau! Wollen Sie sich um jedes Wort streiten? Ihr Kleid ist nicht schicklich.“ Sein Blick glitt über ihre Brust, und dann wandte er sich ab und öffnete noch im Gehen seine verschmutzte Hose.
Es dauerte einen Moment, ehe sie seine Worte begriffen hatte. Sie blickte an sich hinab und war erschrocken. Die nasse Seide ihres Gewands und Unterhemds legte sich eng um ihre kleinen Brüste, die noch durch ihr Korsett betont wurden. Sogar ihre harten Knospen zeichneten sich deutlich unter dem feinen Gewebe ab. Kein Wunder, dass er sie so angestarrt hatte. Genauso gut hätte sie unbekleidet sein können. Virginia war beschämt.
Kleidung raschelte.
Sie schaute auf und gewahrte mehr, als sich ziemte – ein straffes Gesäß, kraftvolle Oberschenkel und Waden. Schwer atmend wandte sie sich ab und heftete den Blick auf die Kajütentür. Plötzlich verspürte sie das Verlangen zu weinen.
Lange genug war sie nun tapfer gewesen, und jetzt verließ sie der Mut. Sie musste nach London, musste an das Mitgefühl ihres Onkels appellieren und ihn bitten, ihre Schulden zu begleichen. Stattdessen war sie an Bord eines Piratenschiffes und in der Kajüte eines Freibeuters, der manchmal wie ein Aristokrat redete und eine solch verlockende Männlichkeit ausstrahlte, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben ihres eigenen Leibes bewusst war – in einer ganz anderen Art und Weise als je zuvor. Wie hatte es dazu kommen können? Und warum?
Er war ihr Feind. Er stand zwischen ihr und Sweet Briar. Sie hasste ihn leidenschaftlich – sie durfte einfach keinen Zoll an ihm interessant, verführerisch oder faszinierend finden.
„Ich werde draußen warten“, sprach er, unvermutet dicht hinter ihr.
Virginia kämpfte gegen die Tränen an, nickte bloß und machte Platz. Doch sie schaute nicht zu ihm auf. Sie merkte, dass er zögerte und sie anstarrte. Rasch ging sie zu ihrem Koffer, hielt sich übertrieben lange damit auf, neue Kleidungsstücke zu suchen, und betete, er möge keine Träne gesehen haben. Endlich hörte sie, dass die Tür ins Schloss fiel.
Sie sank neben ihrem Koffer zu Boden und weinte bitterlich.
Der Wind entfaltete eine ungeheure Kraft. Devlin stand inzwischen selbst am Steuer, hielt es aber beinahe nachlässig, als könne er ein so großes Schiff im Schlaf lenken, und konzentrierte sich auf die bevorstehende Aufgabe – es galt, dem Sturm zu entrinnen, der ihnen im Nacken saß.
„Werden wir es schaffen?“, vernahm er eine leise Stimme hinter sich, als sich gerade ein violett leuchtendes Augenpaar in seine Gedanken schlich.
Devlin entspannte sich und hieß die Ablenkung willkommen. Er sah den Schiffsarzt an, einen kleinen beleibten Mann mit dichtem Backenbart und gelocktem grauem Haar. „Schwer zu sagen“, gab er zurück. „In der nächsten Viertelstunde weiß ich mehr.“
Jack Harvey verschränkte die Arme vor der Brust und blickte hinauf in den tintenschwarzen, Sternenlosen Himmel. „Was hat es mit dieser
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