Wild wie das Meer (German Edition)
wie?“ Gus’ Unbehagen amüsierte ihn.
Der Maat zögerte. „Für eine kleine Frau ist sie sehr mutig, Sir.“
Devlin wandte sich mit einem verächtlichen Laut ab. Mutig? Das war noch untertrieben. Ihre großen violetten Augen verwirrten ihn, seit ihm das Unglück widerfahren war, der amerikanischen Nichte des Earls of Eastleigh zu begegnen. Er wusste nicht, ob er über ihre Mätzchen lachen oder sich vielmehr über ihre Respektlosigkeit und ihren mangelnden Gehorsam ärgern sollte. Die junge Frau war so klein wie ein dreizehnjähriges Mädchen, aber da er rasch den Charakter eines Menschen zu erfassen vermochte, spürte er, dass sie den Mut von zehn erwachsenen Männern besaß. Nicht, dass ihn das in irgendeiner Weise beeindruckte. Immerhin war sie eine Geisel und nur ein Mittel zum Zweck.
Eigentlich hatte er eine kultivierte Dame mit einem ebenso vornehmen Verhalten erwartet, eine erwachsene und erfahrene Frau wie Elizabeth, eine Frau, die er sich in seinem Bett vorstellen könnte, nur um sich den Abend zu versüßen. Er hatte nicht mit einer winzigen Unruhestifterin gerechnet, die ihn mit einem Schuss aus dem Hinterhalt zu ermorden suchte und dann noch die Stirn hatte, ihn erneut anzugreifen, diesmal mit dem Knauf einer Pistole.
Das war keineswegs amüsant. Devlin trat an die Reling des Quarterdecks und nahm ein Fernrohr zur Hand. Er spürte ein starkes Verlangen in sich aufsteigen, gefährlich und heiß, und es war die unmissverständliche Regung großer, unstillbarer Lust.
Freudlos verzog er den Mund, während er durch das Fernglas sah. Eastleighs verdammte Nichte war eine große Verlockung. Der wilde Blutdurst, der in ihm schwelte, breitete sich stärker aus als jegliches Verlangen, das er je zuvor verspürt hatte. Vielleicht, weil seine Geisel noch blutjung war und die Eroberung dadurch umso verderbter wäre. Er wusste, dass dies ein weiterer Schritt in seiner Rache wäre, den er auskosten würde. Gleichwohl hatte er nicht gelogen, als er gesagt hatte, er tue keiner Frau Gewalt an, und das galt auch für seine Männer. Solche Übergriffe waren streng verpönt. Schließlich war er ein Mann und kein Ungeheuer. Tatsächlich war er sowohl von seinen Eltern wie auch von seinem Stiefvater zu einem Gentleman erzogen worden. Und wenn er sich ab und an auf einer Abendveranstaltung oder bei wichtigen Beratungen blicken ließ, so glaubte er, bei diesen Anlässen für einen Gentleman gehalten zu werden. Aber natürlich entsprach er nicht diesem Bild. Kein Gentleman konnte je auf hoher See obsiegen, weder im Krieg noch in Friedenszeiten. Kein Gentleman konnte ein Vermögen durch ein Prisenkommando nach dem anderen anhäufen. Und seine Crew würde niemals einem Gentleman gehorchen. Dennoch, den Ruf einer noch unschuldigen achtzehnjährigen Frau zu ruinieren kam nicht infrage, auch wenn er daran gedacht hatte.
Er setzte das Fernglas ab. Ihr Ruf würde schon angeschlagen genug sein, wenn er sie Eastleigh auslieferte. Was kümmerte es ihn? Sie bedeutete ihm nichts. Und wenn er erführe, dass Eastleigh der jungen Frau zugetan war, dann würde es ihm umso mehr Freude bereiten, die Geisel mit einem ruinierten Ruf auszuliefern. Was seinen eigenen Ruf anbelangte, so verhielt es sich damit sehr einfach – es kümmerte ihn nicht, was die anderen von ihm dachten, es hatte ihn nie interessiert.
Devlin machte sich bewusst, dass er sich wieder einmal nicht an seine Befehle gehalten hatte. Tatsache war, er hatte die Order nicht nur missachtet, sondern einmal mehr in schamloser Weise und voller Absicht dagegen verstoßen. Doch die Admiralität brauchte ihn viel zu sehr, als dass sie je ernsthaft seinen Kopf fordern würde; zudem würde er dafür sorgen, dass das neue Spielchen mit Eastleigh elegant, besonnen und mit einem Anschein von Ehre vorgenommen würde. Eastleigh hatte kein Verlangen nach Skandalen, und daher wusste Devlin, dass sein Erzfeind die Entführung seiner Nichte und die Lösegeldverhandlungen geflissentlich für sich behalten würde. Devlin beschloss, die Angelegenheit so rasch wie möglich zu erledigen – trotzdem wollte er ein wenig Spaß mit Eastleigh haben.
Er lächelte triumphierend in den sich verdunkelnden Himmel.
Sie vermochte nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war oder wie lange er in der düsteren Kajüte gestanden und sie angestarrt hatte, während sie schlief. Aber mit einem Mal erwachte Virginia, und als sie den Kopf hob, fiel ihr Blick auf ihn.
Erschrocken sog sie scharf die Luft ein und
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