Wild wie das Meer (German Edition)
davon.
„Warum tun Sie das, O’Neill?“, rief sie ihm nach. „Mr. Harvey sagt, Sie seien reich!“
Er gab vor, sie nicht zu hören.
„Bastard!“, schimpfte sie.
6. KAPITEL
J ack Harvey nahm die drei Stufen zum Quarterdeck. Obschon er sich nach außen gut gelaunt gab, was seinem fröhlichen Naturell entsprach, war er immer noch bestürzt, dass Devlin seine Geisel missbraucht hatte. Aber er hatte es ohnehin aufgegeben, den düsteren Kapitän zu verstehen. Lange genug hatte er unter O’Neill gedient, um zu wissen, dass er nie in die Seele dieses Mannes vordringen würde.
Devlin stand am Steuerrad und drehte sich um, als er die ihm vertrauten kurzen und überraschend leichtfüßigen Schritte des Schiffsarztes vernahm. „Wie geht es ihr?“, fragte er.
„Die Wunde hätte noch letzte Nacht mit zwei Stichen genäht werden müssen, aber sie verheilt auch so. Miss Hughes hat seit dem Schlag an die Schläfe nicht über Kopfschmerzen geklagt, und ihren Worten zufolge verletzte sie sich während des Sturms vergangene Nacht.“
Mit einem Nicken zog Devlin die Aufmerksamkeit seines Ersten Maats auf sich. „Übernehmen Sie“, sagte er. Dann gab er das Steuer frei und begab sich mit dem Arzt auf die Backbordseite des Decks. „Sie sehen mich so merkwürdig an, Jack“, begann er.
Das Lächeln auf Mr. Harveys Lippen erstarb. „Verdammt, Devlin, ich hoffe, sie hat sich diese Verletzung wirklich durch einen Sturz zugezogen und nicht auf eine andere Weise.“
Devlin begriff gleich, worauf Mr. Harvey anspielte, und starrte den untersetzten Mann an. „Sie denken, ich habe sie geschlagen?“ Er war wirklich überrascht. Noch nie hatte er eine Frau geschlagen.
„Ich weiß nicht, was ich denken soll“, meinte der kleine Mann und verzog das Gesicht. „Zumindest nicht im Augenblick.“
Seine dunkle Vorahnung schien sich zu bestätigen. „Ach, wirklich nicht?“ Er packte Mr. Harvey beim Arm und zog den Arzt auf das Hauptdeck, fort von neugierigen Blicken oder möglichen Lauschern. „Sie sind ein Narr, Jack, wenn Sie sich von einem so gerissenen Zankteufel wie Miss Hughes um den Finger wickeln lassen.“
Mr. Harvey wirkte verblüfft. „Was soll das heißen?“
„Das soll heißen“, fuhr Devlin verstimmt fort, „dass die Dame Sie angestachelt hat, mir den Gehorsam zu verweigern, war es nicht so?“
Die Lider des Arztes flatterten, und er wurde bleich. „Captain, ich ...“ Er verstummte.
„Was habt ihr beide vor? Und sagen Sie mir, wie Sie es rechtfertigen wollen, sich gegen mich zu stellen, wenn ich Ihr Captain bin?“
Mr. Harvey versteifte sich. „Verflucht, Sie haben die Frau verführt.“
Einen Moment lang glaubte Devlin, der Arzt habe in einer fremden Sprache zu ihm gesprochen. „Ich soll was gemacht haben?“
Mr. Harvey blinzelte wieder unsicher und schien sich in seiner Haut sichtlich unwohl zu fühlen. „Sie haben sie ... verführt“, wiederholte er leiser.
Glühender Zorn überkam Devlin. Verflucht sei diese Frau mit ihren cleveren Machenschaften und ihren widerwärtigen Lügen. „Das hat sie Ihnen also erzählt?“, fragte er mit gezwungener Ruhe.
„Ja“, brachte Mr. Harvey kleinlaut hervor.
„Wissen Sie, Sie haben großes Glück, dass wir uns für gewöhnlich gut verstehen. Denn sonst hätten Sie keine gerade Nase mehr. Ich verführe keine Jungfrauen. Die weibliche Unschuld übt keine Faszination auf mich aus.“ Doch noch während er sprach, merkte er, dass sich diese Einstellung geändert hatte.
Mr. Harvey erbleichte. „Du ... liebe Güte“, stotterte er.
„Sie haben sich immer schon von einem hübschen Gesicht blenden lassen“, sagte Devlin.
Sein Gegenüber verzog missmutig den Mund. „Captain, ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Es tut mir leid!“
Devlin vermochte nicht zu sagen, wem er mehr zürnte – Jack Harvey oder Virginia Hughes. Deutlich spürte er das Verlangen, der gerissenen Geisel den hübschen Hals umzudrehen. „Was habt ihr zwei also vorgehabt?“
Mr. Harveys Gesicht war aschfahl. Er schüttelte den Kopf. „Ich sollte ihr Kleidung von einem der Schiffsjungen bringen. Im nächsten Hafen sollte ich Sie dann ablenken, sodass Miss Hughes unbemerkt mit den anderen das Schiff verlassen könnte.“
„Gar nicht so dumm“, murmelte Devlin, und sein Erstaunen war nicht gespielt. Der Plan wäre zweifelsohne gelungen, wenn er nicht die Verschwörung seines Schiffsarztes und der kleinen Gefangenen gespürt hätte.
„Es tut mir leid, ehrlich. Ich wusste,
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