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Wild wie das Meer (German Edition)

Wild wie das Meer (German Edition)

Titel: Wild wie das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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jedoch an, die Kajüte zu verlassen. Der andere Mann ging. Mit pochendem Herzen trat Virginia an Gus’ Seite. „Ich habe gehört, dass hier hauptsächlich Katholiken wohnen. Wo finde ich einen Baptistenprediger?“
    Die Frage schien Gus zu verblüffen. Er zögerte. Scheinbar ziellos ging Virginia hinter ihm her, als der Mann ansetzte: „Ich bin mir sicher, der Captain ...“
    Ihr Wunsch nach Freiheit war letzten Endes größer als ihre Bedenken, den armen Burschen zu verletzen, und so schlug sie ihm mit dem Kerzenständer auf den Hinterkopf. Sie zuckte zusammen, als er ohne einen Laut niederfiel.
    Er rührte sich nicht mehr, und Virginia fürchtete schon, zu fest zugeschlagen zu haben. Doch als sie neben dem Mann kniete, sah sie, dass er noch atmete. Blut sammelte sich in seinen blonden Haaren. „Es tut mir so leid“, wisperte sie und griff nach seiner Gürtelschnalle. Rasch öffnete sie sie und zog dem Matrosen die ziemlich schmutzige Hose aus. Der Anblick seiner dünnen Schenkel und Waden machte ihr nichts aus. Spontan beschloss sie, den Dolch an sich zu nehmen – er könnte ihr noch nützlich sein. Mehr Schwierigkeiten machte es, dem bewusstlosen Burschen das Hemd über den Kopf zu streifen. Dann griff sie unter das Bett, wo sie zuvor genügend lange Stricke versteckt hatte. Sie fesselte ihn an Händen und Füßen und stopfte ihm eine Socke als Knebel in den Mund.
    „Bitte hassen Sie mich nicht dafür“, flüsterte sie, während sie ihn unter das Bett rollte. Als sie einen Blick auf sein blasses Gesicht erhaschte, fragte sie sich, ob die Flucht diese Tat rechtfertigte. Immerhin hatte sich dieser Mann ihr gegenüber stets respektvoll benommen.
    Virginia legte ihren Mantel, das Kleid sowie das Korsett ab und behielt nur das Unterhemd und die Pantalons an. Auch ihre Schuhe landeten unter dem Bett. Rasch schlüpfte sie in die Hose und verknotete den Gürtel, anstatt die Schnalle zu schließen. Dann streifte sie sich das Hemd über den Kopf und verbarg schließlich ihren Zopf unter der wollenen Kappe des Matrosen.
    Eilig lief sie zum Bullauge und hielt vor Aufregung den Atem an. Eine mittelgroße Stadt war in Sicht. Einfachere Holzbehausungen bildeten die Vororte, dahinter erhoben sich Gebäude aus Stein, einige Herrenhäuser und Kirchen und schließlich der alte Stadtkern. Ein Dutzend Schiffe unterschiedlicher Größe lag im Hafen. Keines war auch nur halb so groß wie die Fregatte; es schienen ausschließlich Handelsschiffe oder Fischerboote zu sein.
    Eine Menge Leute strömte zu den Docks. Virginia war verblüfft. Einige schienen Bauern in schäbigen Hemden zu sein, andere wiederum Kaufleute, stattlich gekleidet in Wollmänteln und Breeches. Auch Frauen befanden sich in der Menge der Schaulustigen. Die Jüngeren unter ihnen winkten und lächelten. Nein – jeder lächelte.
    Sie wurde immer unruhiger.
    Virginia hörte O’Neills Befehle, als das Schiff die Fahrt verlangsamte. Sie gewahrte eine Frau mit tizianrotem Haar in einem einfachen Bauernkleid, die sich aus der Menge löste. Sie trug einen Korb mit Blumen.
    Jemand stieß einen Freudenruf aus. Virginia war sich nicht sicher, aber es klang wahrlich sehr nach „O’Neill!“
    Ihr fröstelte, und sie schlang die Arme um den Leib. Der Jubel in der Menge schwoll weiter an, und dann begann die Schönheit mit dem roten Haar, Blumen auszustreuen. Der Wind griff in die Blütenpracht und wehte sie ins Wasser. Nun gab es keinen Zweifel mehr, was die Leute freudig riefen. „O’Neill! O’Neill!“, erklang es von überall her. Zudem war Virginia sich sicher, Tränen auf den Wangen einiger Schaulustiger zu entdecken.
    Sie verstand das alles nicht.
    Männer in Seemannskluft eilten zur Mole, um die Taue der „Defiance“ in Empfang zu nehmen. Das Schiff fuhr seitwärts, und Virginia konnte deutlich hören, wie der schwere Anker in den Fluss gelassen wurde. Warum waren all diese Menschen so überglücklich, O’Neill zu sehen?
    Sie redete sich ein, dass dies sie nichts anging. Sie musste bereit für die Flucht sein, und der Zeitpunkt war nun gekommen.
    Doch als sie die Kajütentür öffnete, wusste sie, dass es sie sehr wohl etwas anging – es beschäftigte sie viel zu sehr. Allerdings wusste sie nicht, warum.
    O’Neill stand auf dem Quarterdeck und blickte auf die Stadt und die Menschenansammlung, die ihn so überschwänglich willkommen hieß, als wäre er ein König. Aber er lächelte nicht. Dennoch glaubte Virginia, dass er im Augenblick seinen Gedanken

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