Wild wie das Meer (German Edition)
vermögender Mann und haben das Geld nicht nötig. Bitte, lassen Sie mich gehen – bringen Sie mich nach London, wo man mich, so hoffe ich, bereits erwartet. Ich flehe Sie an, Captain.“
Devlin zog die Hände zurück und erhob sich. „Es tut mir leid, dass Sie um Ihr Erbe gebracht werden“, sagte er knapp, „aber ich kann nicht von meinen Plänen abrücken.“
Mit einem Schrei sprang sie auf. „Ich bin eine Waise! Sweet Briar ist alles, was mir geblieben ist!“
Er schritt zur Tür.
„Gott, es kümmert Sie überhaupt nicht! Sie kümmern sich um nichts und niemanden!“
Er öffnete die Tür.
„Ihretwegen verliere ich Sweet Briar. Weil Sie sich in den Kopf gesetzt haben, Lösegeld für mich zu erpressen!“, rief sie ihm nach.
Er wandte sich nicht um. Als er hinausging, sagte er: „Nein, Miss Hughes, Sie verlieren Sweet Briar, da Ihr Vater offenkundig ein sehr schlechter Geschäftsmann war.“
Bei dieser Beleidigung verschlug es Virginia die Sprache, und bevor sie es ihm mit ähnlich verletzenden Worten heimzahlen konnte, war er fort. Die Tür fiel schwer ins Schloss, und das trübe, graue Licht der Dämmerung fiel durch die Bullaugen.
Sie hatte beschlossen, einen letzten Versuch zu unternehmen, um seine Pläne zu durchkreuzen.
Virginia stand vor einem Bullauge, das trotz des stürmischen Wetters geöffnet war, und sah die irische Küste vorbeiziehen. Schroffe Klippen erhoben sich über einem sandigen Küstenstreifen und gingen schließlich in ein sanftes Hügelland landeinwärts über. Sie hatte beschlossen, O’Neill nicht weiter gegen sich aufzubringen, und war seit jenem Tag brav in der Kajüte geblieben. Aber als die ersten Möwen aufgetaucht waren, hatte sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet und zufällig aufgeschnappt, dass sie schon bald den Fluss in Richtung Limerick hinaufsegeln würden.
Seitdem waren einige Stunden vergangen. Die Fregatte fuhr schnell den Shannon hinauf. Hier und dort konnte Virginia ein Herrenhaus oder eine Ansammlung von Hütten sehen. Das irische Festland erstrahlte nun in saftigem Grün, und immer wieder waren Schafe auf den Anhöhen auszumachen.
Wie lange es wohl noch dauern mochte, bis sie den Hafen von Limerick erreichten? Sie konnte die Entfernung nicht einschätzen. Auch ein Blick auf die Seekarten hatte ihr nicht weitergeholfen. Doch jetzt wollte sie nicht länger zögern, denn wenn sie ihren neuen Plan nicht bald in die Tat umsetzte, würde er misslingen.
Virginia schritt zur Kajütentür. Nirgends ein Zeichen des jungen blonden Mannes namens Gus. Gleichwohl sah sie Jack Harvey, der unterhalb des Quarterdecks an der Reling stand und traurig auf die irische Küste schaute. „Mr. Harvey! Bitte, Sir, ich möchte mit Ihnen sprechen.“
Der Arzt sah zu ihr herüber und wirkte mehr als überrascht.
Über ihm stand Devlin am Steuer, wie eine große, alles beherrschende Gestalt. Der Kapitän wandte sich dem Arzt halb zu, nickte und sagte etwas zu ihm, was Virginia nicht verstand. Schließlich überquerte Mr. Harvey das Deck so zögerlich, dass Virginia sich reuevoll auf die Unterlippe biss. Dann schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich muss Sie um einen Gefallen bitten“, hob sie an.
„Ich lasse mich nicht noch einmal von Ihnen einspannen“, wehrte er ab.
„Würden Sie bitte Gus zu mir schicken? Ich brauche ein Bad, ehe ich dieses Schiff verlasse. Ich möchte lediglich um etwas heißes Wasser bitten.“
Der Arzt wirkte erleichtert und entfernte sich mit einem Nicken.
Virginia schloss die Augen, nachdem sie die Kajütentür zugedrückt hatte, und wünschte, es gäbe noch eine andere Möglichkeit. Aber Gus war dürr, und obschon er noch einige Pfund schwerer und etwas größer sein mochte als sie, musste er herhalten. Mit einem der schweren Kerzenständer aus Silber in der Hand stellte sie sich so auf, dass die Tür sie verdeckte, sobald der ahnungslose Gus hereinkäme.
Blieb nur zu hoffen, dass der Bursche auch allein kam.
Als es an die Tür klopfte, bat sie Gus einzutreten und sah sofort, dass ein weiterer Matrose mitgekommen war. Geschwind löste sie sich von der Wand und versteckte den Kerzenhalter mit einem unschuldigen Lächeln hinter dem Rücken, während die Männer die Wanne mit dampfendem Wasser füllten. Als die Seeleute wieder gehen wollten, rief Virginia: „Gus? Warten Sie bitte. Ich bin noch nie in Irland gewesen und muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Es ist sehr wichtig.“
Wie zuvor mied er ihren Blick, wies seinen Gefährten
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