Wilde Chrysantheme
trommelte an die Fensterscheiben, und ihr Schlafgemach war von Kerzen erleuchtet, was auch nicht gerade zur Ermunterung beitrug.
»Sie wird wieder auf die Beine kommen. Hat einen schlimmen Schock erlitten, aber sie erholt sich zusehends. Diese Mistress Dennison war hier und hat sie beide mit nach Hause genommen.«
»Jetzt schon?« Juliana zuckte zusammen, als ein Streifen Verbandsmull an einer offenen Hautstelle klebenblieb. »Warum hat mir keiner etwas davon gesagt?«
»Sie haben fest geschlafen, und Seine Gnaden hatte Anweisung erteilt, Sie nicht zu stören, bis Sie klingeln würden.« Henny tauchte ein Tuch in eine Schüssel mit warmem Wasser. »Wenn Sie angekleidet sind, möchte er Sie in der Bibliothek sprechen. Das heißt, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen.« Sorgfältig badete sie Julianas Handflächen und tupfte sie trocken, bevor sie frische Salbe auftrug.
Juliana schloß ihre schweren Lider und fragte sich, ob sie vielleicht unwissentlich einen Schlaftrunk geschluckt hatte. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, nachdem Tarquin sie tags zuvor im Morgensonnenschein allein gelassen hatte. Wer hatte Mistress Dennison informiert, daß Lilly und Rosamund hier waren? Hegte sie einen Groll gegen die Mädchen? Es schien nicht der Fall, da sie so schnell wieder in den Schoß der Familie aufgenommen wurden. Tarquin würde ihr ihre Fragen beantworten können.
Niedergeschlagenheit befiel sie, als sie sich daran erinnerte, wie er sie im Zorn verlassen hatte, ohne sich auch nur mit einem Wort zu ihren Vorwürfen zu äußern. Vor lauter Empörung hatte sie zerstört, was immer er an Wärme ihr gegenüber entwickelt hatte. Sie bereute nicht, was sie gesagt hatte; es war ihr bitterernst damit gewesen, aber jetzt erschien es ihr schäbig, ihn zum Dank für seine fürsorgliche Pflege so anzugreifen.
»Ich glaube, Sie wären am besten dran, wenn Sie sich wieder ins Bett legen würden«, meinte Henny mütterlich, als sie geschickt Julianas Verbände erneuerte. »Ich werde Seiner Gnaden sagen, daß Sie sich noch nicht kräftig genug fühlen aufzustehen.«
»Unsinn. Natürlich bin ich wiederhergestellt.« Juliana zwang sich, die Augen zu öffnen. Sie konnte Tarquin nicht lange aus dem Weg gehen, und außerdem wollte sie Antworten auf ihre Fragen. »Ich wasche mir das Gesicht und trinke eine Tasse Kaffee – dann werde ich hellwach sein. Es liegt nur daran, daß es regnet und so düster hier im Zimmer ist.«
Henny schnalzte missbilligend mit der Zunge, erhob jedoch keine weiteren Einwände, und eine halbe Stunde später musterte Juliana sich entmutigt in dem hohen Standspiegel. Ihr Haar war an diesem Morgen besonders ungebärdig und bildete einen ungewöhnlich starken Kontrast zu ihrem Gesicht mit dessen fahler Blässe. Ihre Augen schienen unnatürlich groß und waren von dunklen Schatten umringt, die ihr indessen ein recht interessantes Aussehen verliehen, wie sie fand. Rätselhaft und irgendwie gequält. Diese für sie abwegige Vorstellung heiterte Juliana wieder etwas auf. »Rätselhaft« und »gequält« waren wohl kaum Attribute, die zu ihrem unansehnlichen, linkisehen, mit zu großen Füßen ausgestatteten Ich passten. Dennoch ließ sich nicht bestreiten, daß das blaß lavendelfarbene Musselinkleid und ihre weiß bandagierten Hände sie eine Spur zerbrechlicher als gewöhnlich aussehen ließen.
»Na, dann mal los, meine Liebe. Aber bleiben Sie nicht zu lange unten. Sie müssen sich vor dem Dinner noch ein wenig ausruhen.«
»Sie sind eine ganz Liebe«, sagte Juliana. »Kein Mensch hat sich jemals so um mich gekümmert oder sich Sorgen um mich gemacht.« Impulsiv drückte sie einen Kuß auf Hennys Wange, der die Frau vor Freude strahlen ließ, als sie Juliana mit einem »Jetzt aber hinaus mit Ihnen, M'lady« aus der Tür schob.
Juliana sah Tarquins Besucher zuerst nicht, als sie die Bibliothek betrat und ihre Fragen hervorsprudelte, noch bevor sie sich zur Gänze im Raum befand. »War Mistress Dennison böse auf Rosamund und Lilly, Sir? Woher wußte sie, daß sie hier übernachteten? Sind Sie sicher, daß sie die Mädchen nicht gemein behandeln wird?«
»Nein. Ich habe sie verständigt. Ja«, erwiderte Tarquin, als er sich aus seinem Sessel erhob. »Atme tief durch,
Mignonne,
und begrüße Mr. Bonnell Thornton.«
Juliana holte, wie empfohlen, Luft. Zu ihrem Erstaunen sah sie, daß der Herzog lächelte und daß seine Augen nach wie vor von einem warmen Leuchten erfüllt waren. In seiner Miene fand sich
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