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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nachdachte. Dennoch war es etwas anderes, als nächsten Angehörigen die Nachricht von einem Verkehrsunfall auf der Landstraße zu überbringen oder der Frau eines Jägers von einem furchtbaren Unfall zu berichten, was Joe schon getan und was ihm danach einige schlaflose Nächte eingetragen hatte. Bei Finotta hatte es keine Fragen nach möglichen menschlichen Opfern gegeben – danach, wie sie zu Tode gekommen waren und ob sie aus der Gegend stammten – oder auch nur nach dem Stand der Untersuchung. Hätte ein Anwalt, der doch von Berufs wegen prozesssüchtig war, nicht ein wenig interessiert daran sein sollen, ob jemand Haftungsklage einreichen konnte?
    Etwas stimmte da nicht.
    Joes Blick hob sich langsam von den Antilopen in den mit Salbeisträuchern bewachsenen Hügeln zu den blaugrauen Bergen am Horizont. Die V/U-Ranch erstreckte sich, so weit er blicken konnte – jedenfalls, wenn er die von der US-Forstverwaltung gepachteten Gebiete mitrechnete. Sie war eines der Juwele des Twelve Sleep County. Und irgendwo dort oben in den Bergen – praktisch unerreichbar – befand sich eine Schlucht namens Savage Run.
    Der Canyon Savage Run hieb eine brutale Kerbe in eine enorm zerklüftete, fast undurchdringliche Bergwildnis Wyomings. Der mittlere Zulauf des Twelve Sleep River, der die Schlucht in Jahrmillionen ausgewaschen hatte, war wegen Bewässerungen flussaufwärts nur noch ein Rinnsal. Doch die Ergebnisse der Erosion – messerscharfe Felswände und eine erschreckende Entfernung von der Oberkante bis zum engen Boden der Schlucht, die praktisch keine Brüche oder Risse im Stein aufwies, entlang derer sich der Canyon überwinden ließe – waren geologisch erstaunlich. Die Schlucht war so steil und schmal, dass den Bach nur selten Sonnenlicht traf. Der Canyon durchschnitt acht geologische Schichten. Während der Humus der Oberkante aus dem trockenen Wyoming des 21. Jahrhunderts stammte, reichte der Boden der Schlucht bis in die Regenwälder zurück, die dort am Ende der Kreidezeit wuchsen, also vor über sechzig Millionen Jahren. Als er zuletzt freilag, suchte Tyrannosaurus rex dort mit weit aufgerissenen Augen nach Beute.
    Die Legende von Savage Run ging auf die Geschichte einer Gruppe von hundert Cheyenne zurück, die vor allem aus älteren Indianern, Frauen und Kindern bestand. Sie lagerten am östlichen Rand der Schlucht, während die kampffähigen Männer auf ausgedehnter Bisonjagd im Gebiet des Powder River waren. Die Gruppe hatte nicht bemerkt, dass Krieger vom Stamm der Pawnee ihnen schon seit Tagen gefolgt waren, und sie hatte auch nicht mitbekommen, dass diese Krieger zurückblieben, als die Jäger der Cheyenne davonritten.
    Die Pawnee hatten schnell und hart angreifen wollen – zum einen, um die Prämie der US-Armee von zehn Dollar pro Skalp einzustreichen, zum anderen, um sich den Zugang zu erstklassigen Jagdgründen in den Vorbergen der Rocky Mountains zu sichern, wenn die Indianerkriege endlich vorbei wären. Außerdem hatten sie es auf die vielen Pferde der Cheyenne abgesehen.
    Irgendwie hatten die Cheyenne vor Einbruch der Nacht von dem bevorstehenden Angriff erfahren. Die Pawnee wussten nicht, dass sie entdeckt worden waren, biwakierten und bereiteten sich auf einen heimtückischen Angriff im Morgengrauen vor.
    Vor Sonnenaufgang stießen sie mit gezogenen Waffen und in schwarz-weißer Kriegsbemalung über die Hänge vor und strömten zum Zeltlager der Cheyenne. Als die Pawnee ins Lager kamen, fanden sie nur die Ringe der Tipis vor, die noch warme Glut der nächtlichen Lagerfeuer und über hundert tote Pferde mit durchschnittener Kehle. Die Pawnee hatten das Gefühl, die Cheyenne seien buchstäblich davongeflogen. Sie wussten, wie schwierig es war, die Gegend mit einer derart großen Schar von Menschen zu verlassen, und dass die Cheyenne unmöglich während der Nacht unbemerkt durch ihre Linien gedrungen waren. Also konnten sie nur in die andere Richtung geflohen sein, aber dort lag ein Canyon, der sich nicht queren ließ. Wütend setzten sie den Flüchtigen nach.
    Als die Pawnee die Schluchtkante erreichten, fanden sie Beweise für ein überwirkliches Ereignis. Die Cheyenne waren verschwunden, doch es gab Zeichen ihrer Flucht. Irgendwie war es der ganzen Gruppe gelungen, die Steilwand bis zum Boden des Canyons abzusteigen und auf der anderen Seite wieder hinaufzukommen. Der Beweis dafür befand sich zweihundert Meter tiefer: etliche verräterische Zeltstangen, Haare und Kleidungsstücke, die an den

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