Wilde Rosen auf Mallorca
die die drei Männer einst gehabt hatten. Sie hatte gewusst, dass sie alle sehr verschieden waren, hatte sie sich aber irgendwie nicht als Familie vorstellen können. Liam war mehrere Jahre älter als Simon gewesen, so dass die beiden wahrscheinlich wenig gemeinsam gehabt hatten. Aber sie waren dennoch Brüder gewesen.
“Oh ja!” Janet nickte wissend. “Meine eigenen Brüder waren als Teenager entsetzlich. Sie stritten sich mit jedem und über alles.”
“Haben Liam und Simon sich gestritten?” fragte sie.
“Sie waren wie Katze und Hund.” Janet seufzte schwer. “William – Mr. William musste immer zwischen sie treten. Ich denke, dass er glaubte, sie würden sich eines Tages noch umbringen, wenn er das nicht täte.” Bei dieser Erinnerung schüttelte sie den Kopf.
Juliet versuchte, sich Liam und Simon, die fünf Jahre auseinander waren, als hitzköpfige junge Männer vorzustellen. Simon war immer ein wenig wild gewesen. William war erfreut darüber gewesen, dass er durch seine Beziehung zu Juliet ruhiger zu werden schien. Aber Liam konnte sie sich irgendwie nicht als wilden jungen Mann vorstellen.
Juliet war nicht entgangen, dass die Haushälterin sich versprochen und ihren ehemaligen Arbeitgeber William genannt hatte. Vielleicht hatte Liam doch Recht, was Janets Gefühle gegenüber William anbelangte, obwohl sie bezweifelte, dass Janet es schätzen würde, wenn sie jetzt versuchte, etwas über diese Gefühle herauszufinden.
“Stattdessen stritten William und Liam, was der Grund dafür war, dass Liam ging”, sagte Juliet nachdenklich.
“Nur, weil … Nun ja, das ist jetzt Schnee von gestern”, sagte Janet kurz und richtete sich auf. “Essen Sie Ihre Suppe, bevor sie kalt wird!” betonte sie und verließ den Raum.
Juliet war an die dominierende Art der anderen Frau gewöhnt. Sie wusste, dass es eigentlich Janet war, die den Haushalt führte, und dass sie das schon seit Jahren getan hatte. Als Juliet nun klar war, was Janet für William empfunden hatte, konnte sie nur Mitleid mit der Situation der Haushälterin haben.
Aber es wäre ihr lieb gewesen, wenn Janet weiter über das geredet hätte, was vor zehn Jahren geschehen war. Sie hätte zu gerne erfahren, was tatsächlich passiert war. Sie wusste, dass William es bedauert hatte, was immer es gewesen sein mochte, aber dennoch hatte er nie versucht, sich mit seinem älteren Sohn auszusprechen.
Janet machte mit ihrem Verhalten mehr als deutlich, als sie den Hauptgang auftrug, dass sie nicht beabsichtigte, das Gespräch fortzusetzen, und so aß Juliet in nachdenklichem Schweigen.
Sie hatte vor, nach dem Essen in Williams Arbeitszimmer zu gehen, um zu versuchen, die Akte zu finden, die Liam so dringend haben wollte. Sie fürchtete den Augenblick, in dem sie Williams Schreibtisch durchsuchen musste. Sein Arbeitszimmer war ebenfalls ein Platz, den zu betreten ihr Schmerzen bereitete, und seit seinem Tod war sie nie an seinen Schreibtisch im Hause gegangen. Doch wenn sie es nicht täte, würde Liam es tun, und irgendwie fand sie diesen Gedanken noch unerträglicher.
Das Gefühl war so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Williams sämtliche private Papiere befanden sich in seinem Schreibtisch, und sie durchzugehen war, als würde man das persönliche Tagebuch von jemand lesen. Deshalb reduzierte Juliet ihre Suche auf ein Minimum. Die Akte musste schließlich eine bestimmte Größe haben, und sie war gewiss nicht in der kleinen Kiste in der untersten Schreibtischschublade eingeschlossen, in der William seine wirklich persönlichen Dinge aufbewahrte, wie sie wusste.
Doch unter der Kiste lag ein großer brauner Umschlag, von fast ähnlicher Größe wie die Schublade selbst. Der Name Walters sprang ihr förmlich von dem ersten Blatt Papier entgegen, das Juliet aus dem Umschlag nahm. Es war die Akte Walters. Warum war ausgerechnet diese Akte in Williams Schreibtisch versteckt?
Selbst nachdem Juliet alle darin befindlichen Dokumente gelesen und darüber nachgedacht hatte, war sie einer Antwort auf diese Frage nicht näher gekommen!
Alles schien völlig in Ordnung zu sein – ein Projekt, das William selbst vom Anfang bis zum Ende überwacht hatte. Das Gebäude war termingerecht fertig gestellt worden, alle Rechnungen bezahlt, alle Kosten beglichen. Warum also war diese Akte für Liam so wichtig?
“Arbeiten noch spät in der Nacht?”
Sie blickte beim Klang seiner Stimme schuldbewusst auf. Das einzige Licht im Zimmer fiel aus der Leselampe, die auf
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