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Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Titel: Wilde Rosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Fforde
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schreckte auch dieses Jahr die Vögel ab. Der kleine Rasen hatte sich in Schlamm verwandelt, wie immer im Dezember. Klaustrophobie hüllte sie ein wie eine Decke, die einem Entführungsopfer über den Kopf geworfen wird. Sie umklammerte Leos freie Hand, als er den Klingelknopf drückte.
    Ihr Großvater öffnete. Seine Miene zeigte seine Bereitschaft, sich jede Unverschämtheit zu verbitten, weil er davon ausging, daß Leo unverschämt sein würde. Für einen Moment wünschte Harriet, Leo hätte lange Rastazöpfe und den glasigen Blick eines Drogensüchtigen. Als sie den überraschten Ausdruck im Gesicht ihres Großvaters sah, fragte sie sich, ob er sich das auch gewünscht hatte. Vielleicht war Leo, zugegebenermaßen deutlich älter als Harriet, aber angetan mit seinem Anzug (den Harriet in die Reinigung gebracht hatte) und seinen ordentlichen, kurzen Haaren, eine herbe Enttäuschung.
    »Hallo«, sagte Harriet. Theoretisch nannte sie ihren Großvater »Grandpa«, aber in der Praxis vermied sie es seit Jahren, ihn überhaupt irgendwie zu nennen. Sie beugte sich vor, um seine gerötete, kratzige Wange zu küssen. »Darf ich dir Leo Purbright vorstellen. Leo, das ist mein Großvater, Anthony Burghley-Rice.«
    »Nun laß den Mann doch eintreten, Harriet. Du versperrst die Tür!«
    Der charakteristische Kommandoton ihres Großvaters gab ihr das vertraute Gefühl von Erstickungsangst. Ich habe mich so verändert, seit ich zuletzt hier war, dachte sie, aber ich kann ihnen immer noch nicht die Stirn bieten. Bis ich genug Geld habe, um Matthew ein Heim zu bieten, liegt die Macht immer noch allein bei ihnen.
    »Komm rein, Leo.« Sie zupfte an seinem Ärmel. »Wo ist Granny?«
    »Im Salon.« Ihr Großvater nickte auf eine angrenzende Tür zu. Er war ein gutaussehender Mann mit weißen Haaren, weißem Schnurrbart und sehr aufrechter Haltung. Er trug ein Tweedjackett und ein feines Flanellhemd, in das ein seidenes Halstuch eingesteckt war. Er fand es ausgesprochen wichtig, für jede Gelegenheit passend gekleidet zu sein, und hätte sich wohl selbst im Dschungel zum Dinner umgezogen.
    »Sollen wir nicht hinübergehen?« fragte Harriet vorsichtig. Es war fatal, ihren Großvater zu drängen. Wenn es noch irgendein Ritual gab, das er in der Halle zu absolvieren gedachte, wie etwa Leo abzukanzeln, dann war es wichtig, ihn gewähren zu lassen.
    Er ist in einer schwierigen Position, dachte Harriet. Er kann Leo schlecht als Weiberheld und Taugenichts beschimpfen, nicht gut genug für seine Enkelin, da die fragliche Enkelin das Familienwappen besudelt hat.
    Mr. Burghley-Rice räusperte sich. »Ja, deine Großmutter wartet schon.«
    Harriets Großmutter hatte sich ebenfalls sorgfältig für dieses Ereignis gekleidet. Sie trug ein blaßblaues Kostüm mit einer blaßrosa Bluse und eine sehr kostbare Perlenkette. Sie stand nicht auf, als sie eintraten, sondern vermittelte den Eindruck, daß sie zu erschüttert war, um irgend etwas anderes zu tun, als vornehm bebend auf der Sofakante zu hocken.
    Harriet erkannte diese emotionale Erpressung und Tyrannei der Schwäche als alte Feinde. Sie blieb nervös, aber ebenso ungerührt. Sie wußte, hinter den hellblauen Augen und den zitternden Fingern ihrer Großmutter verbarg sich ein Herz aus Stein.
    Leo überquerte den Parkettboden, ohne über die kleine Perserbrücke zu laufen und schüttelte Harriets Großmutter die Hand.
    »Leo Purbright«, stellte Harriet vor.
    »Ach ja? Sind Sie mit den Yorkshire Purbrights verwandt?«
    Harriets Zehen rollten sich ein vor Verlegenheit. Sie wußte, ihre Großmutter ging davon aus, daß Leo von irgendwelchen bedeutungslosen Purbrights abstammte, und sie fragte nur, um diesen Umstand zu unterstreichen. Ihr Snobismus war extrem ausgeprägt, selbst für eine Frau ihrer Herkunft, Generation und Gesinnung.
    »Ja«, sagte Leo. »Lord Westwood ist mein Onkel.«
    Harriet warf ihm einen ungläubigen Blick zu, den er mit einem ironischen kleinen Lächeln erwiderte. Lavinia Burghley-Rice brauchte nur ein paar Sekunden, um ihre Strategie dieser neuen Entwicklung anzupassen.
    »Sherry, Anthony! Nehmen Sie doch Platz, Mr. Purbright. Und du auch, Harriet. Ach, und Anthony ... den guten Sherry.«
    Harriet setzte sich neben Leo aufs Sofa. Ihre Großmutter hatte sie nicht einmal begrüßt. Aber für Leo war wegen seiner adeligen Verwandtschaft nur der gute Sherry gut genug, den ihr Großvater aus dem Schrank unter der Treppe holen mußte. Leos enormes Selbstvertrauen schmälerte

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