Wilde Rosen: Roman (German Edition)
der zum Fluß führte. Am anderen Ufer war ein Fußballspiel im Gange. Kleine Jungs in kurzen Hosen wurden von frierenden Eltern angefeuert. Zum ersten Mal war Harriet beinah froh, daß Matthew im Internat war. Sie war hoffnungslos unsportlich und hätte ihm in der Hinsicht bestimmt nicht genug bieten können.
»Hast du Kinder, Leo?« Harriet schlug ihren Kragen gegen den eisigen Wind hoch.
»Nein.«
»Warum mußt du deiner Exfrau dann Unterhalt zahlen?«
»Vielleicht nicht mehr lange. Sie heiratet wieder.«
»Oh. Und wirst du trotzdem weiter unterrichten?«
Er hörte die Panik in ihrer Stimme. »Mach dir darüber jetzt keine Sorgen. Ich habe andere Pläne mit dir. Erzähl mir, wie du Matthew bekommen hast.«
Es war eine so langweilige, viel zu oft erzählte Geschichte. Aber wenn er sie hören wollte ... »Oh, das Übliche. Ich ging ohne die Erlaubnis meiner Großeltern zu einer Party. Hab’ mich betrunken. Ein Junge hat mich gefragt, ob ich mit ihm nach oben gehen würde, und ich dachte, das wär’ in Ordnung.«
»Aber wie konntest du ...«
»Wie konnte ich so dämlich sein? Er war der einzige auf der Party, der den gleichen Akzent hatte wie ich. Ich dachte, er wär’ ein Gentleman. Aber natürlich wollte er nur das eine ...« Mit diesem traurigen, kleinen Klischee brach sie ab.
»Und das war das einzige Mal? Du hattest verfluchtes Pech, gleich schwanger zu werden.«
Harriet schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hatte verfluchtes Glück. Stell dir vor, wie leer mein Leben ohne Matthew gewesen wäre. Ich wäre verwelkt und eingegangen. Durch ihn war ich gezwungen weiterzumachen.«
»Aber es deinen Großeltern zu sagen ...«
»War natürlich grauenvoll. Aber ich war so glücklich, daß ich ein Baby bekam.«
»Hast du’s dem Jungen gesagt?«
»Nein. Ich kannte seinen Nachnamen nicht und ich habe mich strikt geweigert, meinen Großeltern von dieser Party zu erzählen, sonst hätten sie ihm Privatdetektive auf den Hals gehetzt.«
»Aber du warst so jung, Harriet. Hast du nicht über eine Abtreibung nachgedacht?«
Harriet betrachtete eine Weide, die die Überschwemmungen des Vorjahres in den Fluß gezogen hatten. Sie wollte sie malen. »Nur um den Gedanken sofort zu verwerfen. Natürlich wollten meine Großeltern, daß ich abtreibe. Aber ich hab’s ihnen absichtlich erst gesagt, als es dafür zu spät war. Ich glaube, ich werd’ ihnen niemals verzeihen, daß sie versucht haben, mich dazu zu zwingen.«
»Vermutlich dachten sie, das sei das Beste für dich. Du warst zu jung, um Mutter zu werden.«
»Siebzehn ist nicht so furchtbar jung. Und sie dachten nicht an mich, sondern nur an sich selbst, wie es wohl wäre, einen unehelichen Urenkel zu haben. Matthew war der Beweis, daß sie mit meiner Erziehung versagt hatten.« Sie seufzte tief. »Ich schätze, ich kann ihren Standpunkt nachvollziehen. Und sie lieben ihn wirklich sehr auf ihre Weise.«
»Wie hast du das nur überlebt? Es muß grauenvoll gewesen sein, bei ihnen zu leben.«
»Stimmt. Aber die Frau des Pastors war wunderbar. Sie hat ihnen klargemacht, daß man es nicht ungeschehen machen kann und daß sie besser gute Miene zum bösen Spiel machen sollten und so tun, als seien sie überglücklich.« Sie lachte leise. »Und als sie zu dem Schluß kamen, daß die Frau des Pastors recht hatte, hat meine Großmutter sich richtig ins Zeug gelegt. Die niedlichsten Babygarnituren, Flanellhemdchen, eine Wiege mit Spitzenbezug. Der arme kleine Kerl durfte keine Strampler tragen, bis irgendwer mit einem Adelstitel ihm einen schenkte.«
»Es muß manchmal die Hölle für dich gewesen sein.«
»Die meisten Dinge, die zu haben sich wirklich lohnt, sind manchmal die Hölle. Aber ich hab’ ihn so sehr geliebt und er mich. Es war das erste Mal, daß ich mich geliebt gefühlt habe.«
»Und nicht das letzte Mal, hoffe ich.«
Harriet sah, daß er sich wünschte, er könnte sagen, er liebe sie, daß er sah, wie sehr sie ihn liebte. Aber sie war froh, daß er sie nicht anlog. Sie warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich denke, wenn wir langsam gehen, können wir auch unter Einhaltung meiner kalvinistischen Prinzipien bald den nächsten Pub ansteuern.«
Kapitel 22
M ay packte Weihnachtsgeschenke ein und verfluchte sich, weil sie es nicht früher getan hatte, als Harriet und Sally noch da waren und ihr hätten helfen können. Aber sie waren beide schon weg aufs Land, um dort Weihnachten zu feiern. May wäre selbst auch längst fort, hätten nicht so viele Leute ihre
Weitere Kostenlose Bücher