Wilde Rosen: Roman (German Edition)
grinste. »Genau. Ich bin froh, daß Sie Verständnis haben.«
Und in diesem Moment verstand Sally es wirklich. Sie erkannte, wie James hatte schuften müssen, um das Vieh gesund und die Farmgebäude instand zu halten, ohne die nötigen Mittel zur Verfügung zu haben. Das Wohnhaus in Ordnung zu bringen, auch noch für selbst eingeladene Modepüppchen aus London, hatte einfach keine Priorität.
Sie sehnte sich danach, die Arme um seinen Hals zu legen und ihn zu trösten, ihm zu sagen, es sei in Ordnung. Aber sie war diejenige, die Trost brauchte, nicht er. Er wirkte ausgeglichen und zufrieden.
»Dann lass’ ich Sie jetzt allein und kümmere mich um die Wärmflasche.«
Das Bad – heiß und entspannend – entschädigte sie für mancherlei. Das Gefühl, hier in der winterlichen Einöde gestrandet zu sein, ließ nach, und sie gewann neue Zuversicht. Morgen würde sie ihn davon überzeugen, was für eine Klassefrau sie war, und selbst wenn sie nicht sein Typ war, würde er ihren Besuch zumindest nicht bereuen.
Trotz der frischgewaschenen Bettwäsche roch das Bett nach James. Aber es war ein angenehmer, männlicher Geruch. Das Bett war warm und ihr Körper ebenfalls. Sie kuschelte sich unter die Decke und fühlte sich glücklicher als seit Ewigkeiten.
Dann entdeckte sie den Becher Milch auf dem Nachttisch. Sie probierte. Sie war warm und schmeckte nach Whiskey und Honig. Sally war zutiefst gerührt. Keine der vielen romantischen Gesten und Aufmerksamkeiten, die man ihr über die Jahre gewidmet hatte, war so liebevoll gewesen oder mit solcher Dankbarkeit empfangen worden wie dieser Schlummertrunk. Sie hatte den Becher kaum geleert, als sie einschlief.
Kapitel 20
J ames’ Pullover reichte Sally bis auf die Oberschenkel, seine Wollstrümpfe bis über die Knie, so daß von ihrem Rock kaum etwas zu sehen war, als sie am nächsten Morgen in die Küche hinunterkam.
Ein Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, saß mit einem Becher Kaffee am Tisch und unterhielt sich mit James. Beide Männer starrten sie an, beide sprachlos vor Verwunderung, ehe James sich sammelte.
»Hallo, Sally. Wie fühlen Sie sich? Haben Sie gut geschlafen? Tee oder Kaffee?«
Sally hatte nicht mit Besuch so früh am Tage gerechnet. Ein Blick auf die Küchenuhr sagte ihr, daß es neun Uhr war. In Farmerkreisen vermutlich schon später Vormittag.
»Ich habe wunderbar geschlafen.« Sie lächelte dem fremden Mann unbestimmt zu.
»Oh, das ist Dave. Er ist gekommen, um sich meine Kuh anzusehen.«
»Sie sind Tierarzt?« Sally hatte einmal für eine kleine Rolle in Der Doktor und das liebe Vieh vorgesprochen und hatte das Gefühl, daß sie sich hinreichend auskannte mit Tierärzten.
»Nein«, murmelte Dave, immer noch wie betäubt durch Sallys Erscheinung.
»Ich werd’ Ihnen ein anständiges Frühstück kochen«, sagte James.
»Oh, ich frühstücke eigentlich nie, aber ich esse gerne, was immer Sie frühstücken.«
James reichte ihr einen Becher Pulverkaffee. »Milch? Zucker?«
»Nein, danke.« Sally trank dankbar und überlegte, ob sie sich eine Laufmasche in die Nylons gerissen hatte oder was sonst der Grund sein mochte, warum Dave ihre Beine so fasziniert anstarrte.
»Kein Wunder, daß Sie so dünn sind«, bemerkte James. »Sie essen kaum etwas und trinken Ihren Kaffee schwarz.«
Sally wertete das als Kompliment und lächelte.
Dave räusperte sich. »Ja, Sie brauchen ordentliche Farmerkost, damit Sie ein bißchen Speck auf die Rippen kriegen.«
Sally wußte, May hätte irgendeine schneidende Erwiderung parat gehabt, etwa daß sie kein Schwein sei, das vor dem Schlachten gemästet werden müßte. Sally lächelte dümmlich.
»Tja, also, wenn Sie uns entschuldigen, Sally, würde ich mit Dave gern noch mal nach Blossom sehen ...«
Dave riß seinen Blick von Sallys zu dünnen, aber dennoch faszinierenden Schenkeln und eilte James nach. »Ich wußte gar nicht, daß du die Kuh Blossom nennst«, hörte Sally ihn sagen. James’ Antwort verstand sie nicht, aber es war sicher irgend etwas Sexistisches und wenig Schmeichelhaftes. Seufzend räumte sie den Tisch ab.
Sie war gerade mit dem Abwasch fertig, als sie einen Landrover Discovery in den Hof fahren sah. Zwei Kinder in Kindersitzen saßen auf der Rückbank und eine junge Frau in einer Barbour-Jacke am Steuer. Als sie heraussprang, sah Sally, daß ihre Levi’s 501 in grünen Gummistiefeln steckte. Sie näherte sich dem Haus, rief ihren Kindern über die Schulter irgendwelche Instruktionen zu,
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