Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
oder seine Familie nicht entwürdigt hat.«
Ross war kurzfristig überrascht, denn sein Schwager war nie religiös gewesen, und das Zeichen des Kreuzes war unter schottischen Presbyterianern nicht gerade üblich. Doch nachdem er einen Augenblick darüber nachgedacht hatte, begriff er die Geste. Ganz abgesehen davon, daß Monate der Gefangenschaft jeden Glauben verändern konnten, klang das Bekreuzigen ganz nach einem letzten Beweis des Widerstands, eine öffentliche Proklamation seiner Nationalität und seiner Religion. Bis zum Ende blieb er unbeugsam. Vielleicht war das seiner Familie ein kleiner Trost.
»Ich danke dir für die Auskunft, Abdul Wahab.« Ross hob sich auf die Füße. »Als Ausgleich für den möglichen Ärger, den du durch mich haben könntest, sind mein Diener Jalal und ich gut bewaffnet und werden nicht zögern, die Waffen zur Verteidigung der Karawane einzusetzen.«
»So Gott will, wird es nicht nötig sein, aber ich bin froh, es zu wissen.« Zwei andere Männer traten nun in den Verschlag, und der Karawanenführer nickte zum Zeichen, daß sie entlassen waren, um sich dann den beiden Neuankömmlingen zuzuwenden. Mit Saleh an seiner Seite trat Ross in den Hof hinaus und dachte, daß bis jetzt alles recht gut verlief. Der Kafila-Bashi machte den Eindruck eines toleranten und fähigen Mannes, und mit etwas Glück würden sie die Karakum ohne Zwischenfälle durchqueren.
Ross freute sich darauf, die letzte Etappe seiner Reise in Angriff zu nehmen.
Dummerweise mußte er vorher Juliet berichten, was er über ihren Bruder gehört hatte. Und darauf freute er sich überhaupt nicht.
Kapitel 8
Juliet hockte an der Außenwand der Karawanserei, hatte die Arme locker gekreuzt auf ihre angezogenen Knie gelegt und beobachtete müßig Murad, der sich um das Feuer kümmerte und das Abendessen zubereitete.
Im Verlauf des Tages hatte es der Perser irgendwann aufgegeben, mit ihr Konversation zu machen, denn sie hatte entweder mit eisigem Schweigen oder aber mit geknurrten Einsilbern auf seine Versuche reagiert. Obwohl sie bedauerte, daß sie so grob mit ihm umging, wußte sie doch, daß sie eine Närrin sein mußte, wenn sie sich mit dem jungen Mann anfreundete. Je weniger er über sie wußte, desto besser.
Sie veränderte leicht ihre Position, um dem Scheuern des miederartigen Kleidungsstücks zu entgehen, das sie unter ihrem Gewand trug, um die Brüste flacher erscheinen zu lassen. Bisher hatte sie sich niemals um solche Dinge Gedanken gemacht. Wenn sie Männerkleidung getragen hatte, dann eher, weil es passender und praktischer gewesen war, kaum aber, um ernsthaft zu versuchen, ihr Geschlecht zu verbergen. Wie auch immer - diese Reise war anders, und deswegen hatte sie alle möglichen Vorkehrungen getroffen, damit man" sie möglichst an nichts als Frau identifizierte. Da sie wußte, daß sie es vermutlich permanent tragen mußte, hatte sie das Stück so locker wie möglich geschnitten, aber sie war dennoch lästig. Wenigstens war das Klima im Augenblick erträglich. Im Sommer wäre das Mieder weitaus schwieriger zu ertragen gewesen.
Sie blickte über den Hof und entdeckte Ross und Saleh, die sich durch das Gewimmel von Menschen, Kamelen und Feuern wanden. Ross trug seine asiatische Kleidung, als wäre er darin geboren worden. Es war kaum zu glauben, daß er in Wirklichkeit ein britischer Aristokrat war. Da ihr Gesicht unter den Schleiern verborgen war, erlaubte sich Juliet ein kleines Lächeln, als sie feststellte, daß er nun wie ein orientalischer Aristokrat aussah. Es gab nichts, was ihr Mann tun konnte, um seine Erscheinung weniger vornehm wirken zu lassen.
Da nun alle wieder zusammen waren, wurde es Zeit zum Essen. Nachdem Ross, Saleh und Juliet sich um einen tiefen, runden Tisch gesetzt hatten, stellte Murad eine Platte vor sie und ließ sich dann selbst nieder. Die Stücke gebratenen Hammels aus dem Basar wurden auf gekochtem Reis serviert, den sie im Laden der Karawanserei gekauft hatten. Dazu gab es frisches Fladenbrot.
In der ganzen islamischen Welt war es üblich, mit den Fingern zu essen, aber nur mit der rechten Hand, da die Linke rituell unrein war und niemals in einen gemeinsamen Teller greifen durfte. Juliet hatte schon so lange auf diese Art gegessen, daß es ihr ganz natürlich vorkam. Sie konnte mit der Rechten geschickt den Reis zu Kugeln rollen und sie dann mit einem raschen Zucken des Daumens genüßlich in den Mund werfen, denn es zeugte von schlechten Manieren, die Finger in
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