Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
den Mund zu stecken. Allerdings hatte sie noch nie versucht, mit verschleiertem Gesicht zu essen, und das stellte sich als schwierig heraus. Selbst bei den Tuaregs behielten nur die striktesten Männer den Schleier beim Essen an, und während Juliet verzweifelt kämpfte, die Technik zu meistern, begriff sie, warum. Sie hatte den Tagelmoust gelöst, so daß sie ihre Hand darunterschieben konnte, stellte aber schnell fest, daß sie permanent aufpassen mußte, daß der Schleier nicht verrutschte. Zweimal fummelte sie schrecklich herum, als sie die Hand zum Mund hob und ließ den Reis über ihr schwarzes Gewand fallen. Als es ihr noch mal passierte, fing sie Ross' belustigten Blick auf und funkelte ihn wütend an, daß er es ja nicht wagte, laut aufzulachen.
Glücklicherweise teilte der Brauch einen Gemeinschaftsteller in unsichtbare Zonen ein, und es war sehr unhöflich, von der Ration des anderen zu nehmen, ansonsten hätte Juliet nichts abbekommen. Als sie endlich fertig war, war der Rest des Tellers längst leer, und die Männer tranken bereits ihren Tee.
Juliet nahm eine kleine Tasse an und lernte prompt, daß Trinken mit Schleier noch problematischer war. Zudem begriff sie, daß es unmöglich sein würde, aus einem Wasserschlauch zu trinken, ohne den Schleier zu senken. Sie würde also aufpassen müssen, daß sie nur dann trank, wenn niemand außer Saleh oder Ross sie sehen konnten. Mit etwas Glück würde vielleicht jemand, der einen Blick auf ihr Gesicht erhaschte, denken, sie wäre ein bartloser Jüngling, aber es schien günstiger, sich nicht allein auf Glück zu verlassen.
Nachdem alle satt waren, verkündete Ross: »Wir werden noch vor der Dämmerung aufbrechen.« Dann blickte er zu Juliet. Auf Tamahak, als würde er dieselbe Auskunft noch einmal geben, sagte er: »Wir treffen uns hinter der Karawanserei in ungefähr zehn Minuten.«
Sie murmelte etwas Neutrales als Zustimmung, während sie sich neugierig fragte, was er wohl mit ihr besprechen wollte. Nun, es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden, und so kam sie auf die Füße und ging ohne weiteren Kommentar in den Hof. Vorzugeben, ein rauher Targi zu sein, gab ihr die Chance, sich wie ein ungezogener Schuljunge zu benehmen, und sie mußte sich selbst eingestehen, daß es wirklich Spaß machte. Langsam wurde es spät, und der Lärmpegel sank, als die Leute sich langsam zur Ruhe begaben. Ohne sich zu beeilen, als hätte sie nichts Besonderes vor, schaute Juliet nach den dösenden Kamelen und schlenderte dann über den Hof, zum Torbogen hinaus und in die Basar-Straße. Dort wandte sie sich nach links und folgte der Mauer der Karawanserei.
Als gewaltigen Kontrast zur Front des Gebäudes fand sie hinter der Karawanserei die leere Wüste vor, die sich, so weit das Auge reichte, nach Osten erstreckte. Unter der schmalen Mondsichel blies ein kräftiger Wind aus dem Norden, der die Dornenbüsche schüttelte, die sich hartnäckig in den kargen Boden krallten.
Juliet nahm einen tiefen Atemzug von der trockenen Luft, die nach Wüste duftete. Als sie wieder ausatmete, spürte sie, wie die Spannung von ihr wich. Ihre Maskerade war doch anstrengender gewesen, als sie vermutet hatte. Es war eine Sache, als Mann verkleidet zu sein, wenn sie mit ihren Leuten unterwegs war, denn die wußten ohnehin, wer sie wirklich war. Eine ganz andere Sache war es jedoch, monatelang dazu verdammt zu sein, die Verkleidung aufrecht zu halten. Aber immerhin hatte sie den ersten Tag erfolgreich gemeistert, und der zweite würde einfacher werden.
Sie stand reglos im Schatten eines knorrigen, borstigen Baumes und gewöhnte ihre Augen an das Sternenlicht. Kein Mensch war in der Nähe; die Männer, die durch die gewaltige Leere der Wüste reisten, zogen es gemeinhin vor, die Gesellschaft von Gefährten zu genießen, wann immer es möglich war.
Etwa zehn Minuten später kam Ross ohne Eile um die Ecke der Karawanserei gebogen. Selbst in der Dunkelheit hatte sie keine Schwierigkeiten, ihn an seiner Größe und der kontrollierten Kraft seiner Bewegungen zu erkennen. Juliet regte sich nicht und wartete gespannt, ob er sie entdecken würde. Etwa hundert Fuß entfernt blieb er zögernd eine ganze Weile stehen, dann kam er direkt auf sie zu.
Beeindruckt fragte Juliet sich, wie er sie so schnell hatte ausmachen können. Es hatte den Wind im Rücken gehabt, von ihrem Duft her konnte er sie nicht erkannt haben. Zudem hatte sie kein Geräusch gemacht, und ihr dunkles Gewand dürfte in den
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