Wilder Als Ein Traum
Trauer über seine entlaufene Tochter seinen Haushalt für immer nach Arran verlegen will.«
Roger brach in röhrendes Gelächter aus. »Und weshalb sollte ich bitte Verstärkung brauchen gegen einen derart wüsten Haufen wie den deinen?«
Ohne Brisbane einer Antwort zu würdigen, zog Ravenshaw ein Pergament aus seiner Satteltasche, entrollte es und verlas mit dröhnender Stimme: »Hiermit erkläre ich, dass diese Burg vom jetzigen Zeitpunkt an unter Belagerung steht und verlange, dass ihr Herr - Roger Basil Henry Joseph Maximilian, Lord Brisbane - sich mir kampflos ergibt.«
Mit wilden Augen blickte Roger in Richtung der Burgmauern, auf denen sich seine Wachen mit gezückten Schwertern und todbringend gespannten Bögen aufgebaut hatten. Der Hauptmann seiner Garde schob zusammen mit seinen Männern ein kleines Katapult über die Wehr, und Roger wusste, auf seinen Befehl hin ergösse sich ein Hagel todbringender Steine auf die verwundbaren Köpfe der feindlichen Armee.
»Bist du vollkommen übergeschnappt, Mann? Ich kann dein lächerliches Verlangen, den Märtyrer zu spielen, ja teilweise verstehen - aber musst du auch deine Leute zu Heiligen machen?«
Colin las weiter, als hätte Roger nichts gesagt. »Bei Eurer Unterwerfung werdet Ihr an den Hof von Alexander dem Dritten gebracht, wo man Euch wegen des Mordes am sechsten Lord von Ravenshaw, seiner edlen Gattin Blythe und neunzig treuer Untertanen des schottischen Königs den Prozess machen wird.«
Vor Empörung zitternd richtete sich Roger zu seiner ganzen Größe auf. »Heinrich ist mein König! Ich verantworte
mich für meine Verbrechen ganz sicher nicht vor diesem schottischen Barbaren«, polterte er los.
Colin rollte das Pergament wieder zusammen und bedachte Roger mit einem Grinsen, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Ich denke doch, dass es genauso geschieht.«
Seine Leute teilten sich und hervor trat eine Frau.
Eine hochgewachsene Lady mit stolz gerecktem Kopf! Sie trug ein schimmerndes purpurrotes Kleid und liebkoste eine winzige schwarze Katze auf ihrem Arm. Diese Person glitt mit der arroganten Grazie eines Racheengels durch die Menge und postierte sich neben Ravenshaws Hengst.
Ihm graute vor ihr!
Die Sonne tauchte ihre goldenen Haare, den breiten Silbergürtel, der um ihre schmalen Hüften lag und den schimmernden Smaragd an ihrem Busen in ein ätherisch weiches Licht.
Roger tat das Einzige, was ihm einfiel. Er blickte dem Hauptmann seiner Bogenschützen in die Augen und bellte: »Schießt!«
26
Tabitha wartete auf Colins Signal und betete, dass das Klappern ihrer Zähne nicht lauter wäre als der Gesang von seinen Leuten. Sie hatte beinahe drei Tage gebraucht, um ihnen den Wortlaut von »Hört ihr die Menschen singen« aus Les Misérables beizubringen, aber am Ende saß er doch. Bei dem Gesang bekam sie eine Gänsehaut. Sicher trüge nicht einmal der beste Chor am ganzen Broadway das Lied mit seiner anrührenden
Melodie und dem hoffnungsvollen Text derart leidenschaftlich vor, und mit einem Gefühl warmen Triumphes hatte sie gesehen, wie Arjons ehemalige Geliebte während des Refrains Lyssandras Hand ergriff und sie freundschaftlich drückte.
Sie hatte Angst gehabt, über den Saum ihres Kleids zu stolpern, riefe Colin sie nach vorn. Granny Cora hatte beinahe dreizehn Zentimeter Seide an eins von Lady Blythes schönsten Kleider nähen müssen, ehe es passte. Lucy schmiegte sich an ihre Wange, als flüstere sie ihr ermutigende Worte zu. Brisbane würde nie darauf kommen, dass das Tierchen völlig harmlos war.
»Ich denke doch, dass es genauso geschieht.«
Beim Klang von Colins volltönender Stimme war sie aus ihren Träumen aufgeschreckt. Seine Leute hatten sich geteilt wie einst das Rote Meer, und ihr einen Weg gebahnt. Würde nicht Colin sie am Ende dieses Wegs erwarten, hätte sie niemals den Mut gehabt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis sie neben seinem Hengst stehen blieb. Niemals hätte sie die Genugtuung erlebt zu sehen, wie Brisbanes Überheblichkeit verflog …
… eine Sekunde, bevor er brüllte: »Schießt!«
Während sie das Amulett umfasste, stieg in Tabitha blankes Entsetzen empor. Was, wenn sich Colins Vertrauen in sie als Fehler herausstellte? Was, wenn ihre Inkompetenz dazu führte, dass der Hof in wenigen Minuten mit Leichen gepflastert war?
Die Bögen schickten ihre Geschosse mit lautem Surren ab.
Aber das Bild von einem Pfeil, der Colins edles Herz durchbohrte, verlieh ihr den Mut,
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