Wilder Als Ein Traum
typisch für Gott in seiner jämmerlichen Gnade, dass er ihm verzieh. Wenn er Gott wäre, verziehe er niemals! Es war einfach viel amüsanter, gegen andere einen Groll zu hegen.
Als seine Dienstboten mit der Toilette fertig waren, schleppten sie einen riesigen Spiegel durch den Raum und hielten ihn, damit er sich von allen Seiten betrachten konnte, mühsam hoch. Ohne auf ihr erschöpftes Schnaufen zu achten, strich er sich über das glatt rasierte Kinn und dachte, wie angenehm es wäre, hätte er diese Hexe nur für sich. Sobald er die Tochter des MacDuff geschwängert hätte, ließe er seinen großmäuligen Schwiegervater durch diese Fee mit einem tödlichen Bann belegen, risse sich nach angemessenem Beileid nicht nur Colins, sondern auch MacDuffs Besitz unter den Nagel - und würde so Herr über ein Gebiet, das sich von der Nordgrenze Englands über das gesamte südliche Schottland erstreckte.
Er blies sich den Pony aus der Stirn. Nur bedauerlich, dass Regan nicht mehr lebte. Sie wäre eine elegante Königin gewesen …
Während er noch an sich herumzupfte, kam der Alte, der den Nachttopf geleert hatte, und tippte ihn vorsichtig an. »Mylord?«
»Hmmmmm?«
Der Mann blickte vorsichtig in Richtung des Balkonfensters. »Es kommt jemand den Weg herauf.«
Roger bleckte sein Gebiss zu einem Lächeln, wobei er den elfenbeinernen Schimmer seiner Zähne bewunderte. »Natürlich kommt jemand den Weg herauf. Das ist sicher Iago, der mir all meine innigsten Wünsche erfüllt!«
Der Alte räusperte sich. »Ich denke, es ist jemand anders, Mylord.«
Roger runzelte die Stirn, ehe er die Falten in seinen Augenwinkeln mit den Daumen glättete. »Fürs Denken wirst du nicht bezahlt.«
»Ich werde überhaupt nicht bezahlt, Mylord - aber trotzdem denke ich nicht, dass es Master Iago ist.«
Roger wirbelte herum, um den aufsässigen Kerl am Ohr zu ziehen; doch mit einem Mal vernahm er ein Geräusch, das ihn in der Bewegung innehalten ließ.
Er legte den Kopf auf die Seite und lauschte angestrengt. »Was zum Teufel …«
Die beständig lauter werdende Melodie lockte Roger auf den Balkon. Als er sah, was da durch die Tore seiner Burg marschierte, musste er sich mit den Händen an dem steinernen Geländer abstützen, sonst wäre er sicher über die Brüstung gestürzt.
In seinen Hof strömte die verlumpteste, verdreckteste Armee von Invasoren, die er je gesehen hatte. Einige der Gestalten waren zu Pferd; aber die meisten kamen, mit nichts als alten Fetzen bedeckt, zu Fuß dahermarschiert. Gebeugte, weißhaarige Greise marschierten neben Jungen mit frischen Gesichtern, und - was das Erstaunlichste von allem war - auch Frauen gehörten dieser Horde an! Wildgesichtige Xanthippen und verwitterte Alte schwangen ebenso wie
ihre Kameraden langstielige Sensen, rostige Messer und grobe Knüppel durch die Luft.
Ein fettes Weib hielt einen Eisenkessel in der Armbeuge und trommelte den Takt eines Liedes, das die ergebenen Kreuzzügler durch Visionen vom Paradies dazu bewogen hatte, ihr Leben einer hoffnungslosen Sache zu opfern.
Außer sich vor Empörung vergrub Roger seine Fingernägel in dem harten Stein.
Wie konnten diese elenden Bauern es wagen, durch sein offenes Tor zu marschieren und ihm die Laune zu verderben? Wie konnten sie es wagen, in seinem Hof Musik zu machen?
Aber als er die Gestalt an der Spitze des jämmerlichen Gesindels entdeckte, erkannte er den Grund für ihre Kühnheit.
Der Mann auf dem Rücken des prachtvollen ebenholzfarbenen Hengstes sah aus, als wäre er Herr nicht nur über dieses Schlachtross, sondern über alles, wonach es ihn gelüstete. In seiner behandschuhten Faust schwang er die Ravenshawsche Fahne, und gerade, als das Lied einen Höhepunkt erreichte, galoppierte er dem zerlumpten Zug voraus.
Der silberne Rabe auf dem Nest aus schwarzer Seide flatterte stolz im Wind, und Stille senkte sich über den Hof, bis Brisbane wütend kreischte: »Himmel, Colin, sieht aus, als ob du mehr Leben als selbst eine Katze hast!«
»Da du die unselige Angewohnheit besitzt, mir regelmäßig danach zu trachten, will ich das doch hoffen, Roger«, antwortete sein alter Rivale ihm.
Der Lord blickte von seinem Balkon herab. »Und was hast du mit Iago angestellt?«
Colin zuckte die Schultern. »Zuletzt haben wir von ihm gehört, dass er auf dem Weg nach London war. Wie du sicher bereits erraten hast, ging sein Auftrag schief. Was heißt,
dass MacDuff dir keine Truppen schickt. Man erzählt sich, dass er aus lauter
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