Wilder Als Ein Traum
ihres Knies, doch sein Blick wanderte hinauf zu ihren Augen, und sie fragte sich, ob er merkte, wie schnell der Puls in ihrer Halsschlagader schlug.
»Es gab Frauen in Ägypten«, stellte er mit entwaffnend heiserer Stimme fest, »die ebenfalls diesem Brauchtum frönten. Die meisten von ihnen hatten wohl aus dem Harem des Sultans in die Bordelle übersiedeln müssen. Einige waren Sklavinnen gewesen, andere geliebte Ehefrauen. Sie parfümierten sich das Haupthaar mit Jasmin; aber sämtliche anderen Körperstellen rasierten sie, bis sie so weich waren wie Seide, und ölten sie mit Sandelholzessenz - damit es nicht die geringste Störung für die Berührung des Mannes oder für ihr eigenes Vergnügen gab.«
Die Lebendigkeit seiner goldenen Augen hielt sie in Bann. Sie versuchte einzuatmen; aber der Blick auf die sinnliche Dekadenz, den seine heiseren Ausführungen ihr gestattet hatten, nahm ihr die Luft. Derartige Verlockungen konnte er unmöglich von irgendeiner drittklassigen Website oder der eselohrigen Seite eines Herrenmagazins haben.
Sie hatte eine lebhafte Vision von Colin, wie er, in eine wehende weiße Robe gehüllt, die schwielige Haut von der Sonne liebkost, auf seinem Hengst quer durch die Wüste galoppierte, sich vom Rücken des Tieres schwang und ein parfümiertes Frauengemach betrat; hier wurde er von einer Reihe üppiger Playmates auf einem Bett aus Seidenkissen empfangen, deren Haut schimmerte und deren goldene Reifen einladend klingelten, als sie die Arme nach ihm ausstreckten.
Angewidert schob sie seine Hand von ihrem Knie und zog ihren Rock über die Knöchel. »Ich kann Ihnen versichern, Sir, dass ich Ihren kostbaren Dolch lediglich für meine Beine
benutzt habe. Pech für Sie, wenn Sie damit nicht einverstanden sind!«
Ruckartig erhob sie sich, doch er nahm ihre Hand, baute sich in seiner ganzen Größe vor ihr auf und zog ihr Gesicht gefährlich nah an seines. »Ich bin damit bestimmt nicht einverstanden.« Er zögerte gerade lange genug, dass sie zornig Luft holen konnte. »Aber ich finde es durchaus anziehend.«
Hätte er dieses Geständnis mit einem Grinsen oder einem lüsternen Blick gemildert, hätte sie vielleicht etwas darauf antworten können. Seine reglose Miene jedoch empfand sie als äußerst beunruhigend. Onkel Sven hatte ihr beigebracht, sich gegen einen Handtaschenräuber zur Wehr zu setzen, nicht aber gegen einen ramponierten Ritter, der sie ansah, als wäre er ein einsamer Sultan und sie die schönste Frau der Welt.
Sie kniff die Augen zu und lud ihn ein zu nehmen, was zu geben sie nicht wagte. Kaum hatten allerdings seine Lippen die ihren berührt, als sie sich daran erinnerte, dass sie kein Amulett mehr um den Hals trug, welches sie vor Katastrophen dieser und anderer Art beschützte.
Tabitha riss sich von ihm los, als sie entsetzt erkannte, dass sie vielleicht nur einen Kuss davon entfernt gewesen war, ihn in ein Dreizehenfaultier zu verwandeln oder in eine andere Schreckensgestalt. Vor lauter Frustration schrie sie ihn an: »Dass Sie Ihren Leuten erzählen, ich wäre Ihre Frau, macht die Behauptung noch lange nicht wahr. Frauen sind nicht irgendein Besitz, den man sich einfach aneignen oder gar verschachern kann.«
Er zog eine Braue hoch, wodurch er sie daran erinnerte, dass in seinem Jahrhundert eine Frau genau das war. »Ich wollte Euch keineswegs beleidigen, indem ich Euch meinen Schutz anbot«, antwortete er ruhig.
»Sie haben mir auch meine Kette geboten für ein Lied. Oder ist der Preis gestiegen? Und was bieten Sie mir jetzt? Ihr Königreich für einen Kuss?«
»Würdet Ihr bezahlen, Mylady?«
Als er sich ihr näherte, trat sie abwehrend einen Schritt zurück, und er sah sie traurig lächelnd an.
»Ich hatte mir bereits gedacht, dass Ihr es nicht tun würdet. In diesem Fall müsst Ihr Euch Euren Schatz zurückverdienen, indem Ihr Euch als meines Vertrauens würdig erweist.«
»Und wie soll ich das anstellen?«
»Auf alle Fälle nicht, indem Ihr bei Anbruch der Dämmerung heimlich mein Zelt verlasst und mich dadurch zu Tode erschreckt …«
Seufzend wandte er sich von ihr ab, und plötzlich verstand Tabitha, weshalb er so verzweifelt durch den Wald geschossen war. Er hatte sie angebrüllt wie ein Vater ein vermisstes Kind, das, eine Eiswaffel in der Hand, vergnügt auf der Polizeiwache weilte - statt auf einem der Seziertische im Leichenschauhaus zu liegen.
Betreten fuhr er sich mit den Händen durch das vom Schlaf zerzauste Haar. »Ich wollte euch nicht
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