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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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der armen Nana zu sagen, dass die Belagerung vorüber ist.«
    »Also bitte, Nana«, mischte sich Colin versöhnlich ein. »Wenn sie es getan hätten, hättest du sie sicher ebenso über den Haufen gerannt wie mich.« Dann wandte er sich an die überraschte Menge. »Ihr hättet sie sehen sollen. Hat sich wie eine blutrünstige Walküre aus der Dunkelheit auf mich gestürzt, fest entschlossen, ihre Herrin zu verteidigen, selbst wenn es sie das Leben kosten sollte. Sie war einfach großartig!«
    Besänftigt reckte Nana ihr Mehrfachkinn und kniff ihn in die Wange. »Sprich ruhig weiter, du Süßholzraspler. Ich höre dir immer gerne zu.«
    Tabitha machte einen Schritt zurück und hoffte, dass niemand bemerkte, wenn sie in Colins Zelt verschwand. Ihre Gefühle für ihn waren noch zu neu und zart, um einer öffentlichen Zurschaustellung standzuhalten.
    Arjon raufte sich gähnend das Haar. »Aber wie bist du auf die Idee gekommen, mitten in der Nacht in der Burg herumzuschleichen? Wir alle liegen bereits seit Stunden in unseren
Betten.« Die geschwollenen Lippen seiner kichernden Begleiterin verrieten, dass sie angenehmeren Freuden gefrönt hatten als Geländeübungen. Tabitha hob einen Finger an ihren eigenen Mund und fragte sich, ob er ebenso geküsst aussah, wie er sich anfühlte.
    Colin drückte Nana das Baby in den Arm und antwortete: »Scheint, als wäre nur eine von uns kühn genug gewesen, um dem gefürchteten Ravenshaw’schen Geist gegenüberzutreten.« Ehe Tabitha sich verstecken konnte, hatte er sie neben sich gezogen und mit dem Gesicht den Dörflern zugedreht. »Tabitha war diejenige, die es gewagt hat, den Spuk zu überwinden und die Burg zu betreten. Tabitha, die alle möglichen Schrecknisse durchstand« - seine Stimme verriet hörbaren Stolz - »um eure Herrin und die alte Nana aus ihrem Gefängnis zu befreien.«
    »Es ist nicht weiter der Rede wert«, murmelte sie verschämt.
    Colin fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt, wobei er den Saum seiner Tunika betastete: »Und zum Zeichen meiner innigen Dankbarkeit mache ich ihr ein Geschenk.«
    Tabitha stockte der Atem, aber sie konnte ihn nicht mehr daran hindern, ihr die Kette um den Hals zu legen. Selbst im schwachen Licht des Mondes schimmerte der Smaragd an ihrer Brust wie das Auge eines Drachens.
    Mit einer Mischung aus Freude und Furcht blickte sie auf den Stein. Niemals hätte sie gedacht, dass Colins Vertrauen eine derartige Belastungsprobe für sie würde. Es band sie an ihn und eröffnete gleichzeitig die Möglichkeit, sich ihm für immer zu entziehen. Die Entscheidung lag allein bei ihr.
    Jetzt könnte sie sich in seinen Armen umdrehen und ihn küssen, ohne dass sie ihn unbewusst dabei verzauberte. Aber irgendwie war es auch wesentlich gefährlicher als je zuvor.
Also blieb sie stocksteif stehen - ohne sich umzudrehen, ohne ihn zu berühren, ohne ihm zu zeigen, wie viel ihr sein Vertrauen bedeutete.
    »Auf Tabitha!«, rief Chauncey.
    »Ja! Auf Lady Tabitha!«, stimmten die anderen mit ein.
    Die allgemeinen Jubelrufe erschreckten das Baby, sodass es abermals aufjaulte. Doch sein Weinen wurde von Collins vollem Lachen übertönt, als er seine Arme von hinten um Tabitha schlang und sie an sein Herz drückte.
    Wehmütig kniff sie die Augen zu. Sie war über siebenhundert Jahren von zu Hause fortgereist, nur, um an den Ort zu gelangen, an den sie gehörte, dachte sie, und eine Träne rann ihr über die Wange.

16
    Auf Castle Raven zog wieder Leben ein. Nun, da der Geist gebannt und ihre winzige Herrin aus dem Turmgefängnis befreit war, wollten die Dorfbewohner sowohl ihre Häuser als auch ihr Dasein wieder in Besitz nehmen; also eilten sie bereits bei Anbruch des nächsten Tages wie eine Kolonie eifriger Ameisen über den Hof.
    Als Tabitha endlich und spät in einen unruhigen Schlummer versunken war, hatte Colin neben dem Korb des Babys gekauert und jeden seiner regelmäßigen Atemzüge mitgezählt. Tabitha war bei Anbruch der Dämmerung erwacht, hatte ihn tief schlafend auf dem Boden vorgefunden, mit einem der Pelze zugedeckt und sich an seiner Stelle neben den Weidenkorb gesetzt.
    Trotz mehrerer eifriger Angebote weigerte er sich, das
Baby, das auf den Namen Blythe getauft war, einer der Frauen aus dem Dorf zu überlassen; und so schleppte er, während er die Reparaturarbeiten beaufsichtigte, dieses zappelnde Bündel in der Armbeuge mit sich herum. Tabithas Brille mit dem Drahtgestell saß tief auf seiner Nase, und gerade die Gegensätzlichkeit

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